Juli 16

A Quiet Revolution

Wir alle erfahren neue Impulse in unserem Leben. Tagtäglich. Unsere moderne Lebensweise könnte gar nicht funktionieren, wäre das nicht der Fall. Neues, Fremdes, Unbekanntes – wohl zu keiner Zeit wie der heutigen waren jene Variablen so intensiv spürbar.

Bloß entscheiden wir, bewusst oder unbewusst, ob und wie wir damit umgehen. Wir können Dinge ignorieren, sie mit einem kleinen „Brauche ich nicht, war nie so“-Kärtchen versehen, sie ins Lächerliche ziehen, sie verdammen, als „unwahr“ abstempeln, wie nicht existent behandeln – oder über sie nachdenken, ihnen die Hand reichen und eine Chance geben, einen positiven Unterschied zu machen.

Das gilt für alles. Ja, richtig gelesen: Für alles. Völlig egal, in welchem Lebensbereich – neue Dinge, Situationen und Lebenswege können immer etwas Unerwartetes, Schönes oder Beeindruckendes enthalten. Man müsste sich bloß dafür öffnen können.

Genau daran scheitern wir heutzutage bloß allzu häufig. Nicht, dass wir uns ernsthaft um eine Ablehnung neuer Impulse und Gegebenheiten bemühten. Wir denken, sprechen und handeln eher symbolisch.

Das wohl bekannteste Beispiel: Die US-amerikanische Mauer an der mexikanischen Grenze. Nicht, dass diese Mauer einen Effekt haben könnte. Die meisten Immigranten kommen, statistisch nachweisbar, nicht zu Fuß samt Bollerwagen in die Staaten. Sondern via Flugzeug oder über den Wasserweg. Dennoch atmet eine Vielzahl an US-Bürgern auf. Denn wo eine Mauer ist, kann kein Weg sein. Wille hin oder her.

So simpel kann es sein, Menschen von dem „Neuen“, in diesem Fall der vermeintlich „kriminellen“ Immigranten, zu befreien – obwohl sie von ihrer vermeintlichen Last gar nicht „befreit“ sind.

(Anm. d. Autors: Was auch absolut unsinnig wäre – ich halt’s da eher mit der menschlichen Toleranz samt Vielfalt und weniger mit Landesgrenzen.)

Auch ein schönes Beispiel: Das weit verbreitete Tierwohl-, „Milch von glücklichen Kühen“- oder ähnliche bemitleidenswerte Labels, die uns suggerieren, mit unserer Welt war zwar kurz etwas im Ungleichgewicht. Das haben wir aber glücklicherweise durch einige kraftvollen Initiativen wieder bewerkstelligt. Es braucht also nichts „Neues“ wie vegane Ernährung, Milchalternativen und Co., um wirklich etwas zu bewirken. Lebt weiter wie bisher – alles bestens.

Unsere Kühe lächeln seit Neuestem, wenn man sie von ihren Kindern trennt und drücken die Milch freiwillig in die Flasche. Frau Klöckner hat das wirklich im Griff.

Und dennoch wächst das vegane Angebot in Städten ins Unermessliche, die Rügenwalder Mühle kommt vor lauter pflanzlichen Schnitzeln kaum noch hinterher und immer mehr ältere Menschen erkranken an Krebs – was oftmals auf tierbasierte Ernährung zurückzuführen ist.

Doch das Neue ist dennoch weit weg – brauchen wir nicht, oder?

Es mag ein Generationenkonflikt sein, doch in meinem persönlichen Freundeskreis kenne ich absolut niemanden, der andere oder neuartige Lebens- sowie Denkweisen verurteilt. Ich habe den Eindruck, das Motto „Leben und Leben lassen“ gewinnt an Befürwortern. Und erweitert das Blickfeld.

Das mag jedoch auch mit dem zuammenhängen, dem wir uns tagtäglich aussetzen – oder ausgesetzt sind. Erst kürzlich stolperte ich über eine TV-Werbung samt Claim „Butter ist gesund“. Und „Essen Sie mehr Zucker, wenn Sie abnehmen möchten“. Auch „Mit Maggi schmeckt Ihr Lieblingsessen noch mehr nach Ihrem Lieblingsessen“ war werbetechnisch nicht von schlechten Eltern.

Damals wie heute: Je öfter wir etwas hören, desto leichter und schneller glauben wir es. Und so wurde Butter gesund, so machte Milch starke Knochen und so mussten Einwanderer in Deutschland vor laufenden TV-Kameras den Satz „Ich bin fremd in diesem Land“ auswendig lernen, um der deutschen Sprache mächtig zu werden.

Von all diesen Paradoxa zehrt ein Großteil der heutigen Gesellschaft noch immer. Da ist es doch kein Wunder, dass „Neues“ wie fremde Kulturen, alternative Ernährungsweisen und andere Lebensentwürfe bestmöglich abgeschmettert werden, oder?

Wir leben im Grunde zwischen Relikten alter Tage – auch industriell. Oder würde heute noch wirklich jemand auf die Idee kommen und sich selbst sagen: „Ich glaube, es könnte eine prima Geschäftsidee sein, wenn wir jährlich über 100 Millionen Schweine schlachten und das Fleisch so billig und krankheitsfördernd wie möglich verkaufen?“ Wohl kaum.

Weil wir aufgeklärter sind denn je. Wir wissen so vieles – und handeln dagegen. Wir sind auf dem Papier so intelligent wie nie zuvor – und benehmen uns idiotischer denn je.

Wir wissen so viel über unsere kulturelle Vielfalt – und bekriegen dennoch das „Fremde“. Wir wissen inzwischen, dass sämtliche Ressourcen erschöpfbar sind – und handeln dennoch getreu dem Motto „höher, schneller, weiter“.

Doch für all das gibt es eine hinlängliche Erklärung, die wir unter dem Begriff „Gewohnheit“ benennen und verteidigen. Gelegentlich fallen auch Begriffe wie Tradition ins Gewicht.

Doch was wäre, wenn wir mit Traditionen gar nicht brechen und Gewohnheiten nicht abgelegt werden müssten?

Diese Frage stellt sich im Grunde nicht mehr, da genau das passiert: Viele „Ausländer“ sprechen besser Deutsch als halb Neukölln, vegane Schnitzel schmecken fleischiger als das „Wiener Original“ und selbst auf traditionellen Feierlichkeiten wie beim Oktoberfest gibt es alkoholfreies Bier, das seinem schlechten Ruf in keinster Weise gerecht wird.

Und das Beste daran ist: Wir bemerken diese Veränderung wenig bis gar nicht.

Wenn wir beispielsweise beruflich tagelang mit einem Herrn Meier telefonieren und beim ersten persönlichen Treffen feststellen: „Upps, der ist ja schwarz“ – da wird es schwierig, das „Fremde“ noch von sich zu weisen und zu verurteilen.

Wenn uns zum dritten Mal ein veganer Burger untergeschoben wird und wir nochmal das saftige Fleisch loben, das ja viel besser sei als die pflanzlichen Alternativen – welche Argumentation bleibt da noch für das „Alte“?

Wenn wir bemerken, dass der alkoholfreie Sekt plötzlich besser schmeckt, als der „Normale“ – wie ist die schädlichere Variante dann noch zu verteidigen?

Es gibt schlichtweg kein rational begründbares Zurück. Denn das, was neu, nachhaltig und sinnvoll wie genießbar auf allen Ebenen daherkommt, ist schwerlichst zu verurteilen.

Letzteres gelingt höchstens mit der Argumentation der Gewohnheit.

Doch dann müssen wir uns ehrlich der Frage stellen:

Sind wir wirklich die fortschrittliche Gesellschaft, die wir zu glauben scheinen, wenn wir einem „Weiter so“ folgen, statt neue und bessere Wege einzuschlagen?

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Über Alex

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