Anfang’s war’s ein Reiseblog. Eine Plattform, auf der ich meine Gedanken zu teilen versuchte. Aus Versehen Geschichten schrieb. Die manchmal Anklang fanden. Manchmal in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Und manchmal um jeden Preis ignoriert wurden.
Ganz am Anfang schrieb ich überall. An jedem Ort. Schrieb mehr, als dass ich Orte genoss, Sehenswürdigkeiten Beachtung schenkte oder Menschen kennenzulernen versuchte. Die Freude am geschriebenen und geteilten Wort schien schier grenzenlos.
Und sie schien nicht bloß so. Sie war grenzenlos. Ohne Hintergrund. Ohne zu wissen, warum überhaupt. Ich genoss diese Zeit, in der Zeit so unbedeutend war wie der Gedanke vermeintlich künftiger Leser über im Jetzt, im Hier verfasste Texte.
Nichts schien ferner als die Zukunft. Nichts näher als die Vergangenheit – und doch gelang es ihr nie, mich einzuholen. Ich meisterte Abschiede – erst im Guten und oft im Egalen. Ich bewegte mich im luftleeren Raum und denke an Australien, wenn ich diese Worte schreibe.
Ich blickte tagelang nicht auf das in meiner Hosentasche vibrierende Handy und fahre gedanklich immer wieder rund um die isländischen Naturschauspiele. Sehe und fühle nichts als endlose Straße. Und eine Welt, in der Geld nicht mehr wert war als die Zeit, die niemandes Alltag bestimmte.
Ich wurde Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Und dann Sechsundzwanzig. Zum letzten Mal in Windeseile. Nicht im natürlichsten Ödland dieser Welt, eher im Herzen Europas.
In dem die Straßen mich küssten, mich Menschen nicht beäugten und der stärkste Alkohol die hypnotisierende Wirkung der Stadtgassen nicht annähernd in seiner Wirkung abbilden könnte.
In dem die hässlichsten Ecken ihre Historie nie versteckten. Und der Zauber des Zwischenmenschlichen nie zu enden schien.
Und nun werde ich wohl erwachsen. Was rein vom Wortsinn her mir irreführend scheint. Er-wachsen. Wenn man das Wort in diesen Teilen betrachtete, wäre man wohl nie „erwachsen“. Sondern müsse sich die Frage stellen, was aus dem Selbst erwachsen könne.
Wie aus einem einfachen Samen ein ganzer Baum werden erwachsen kann, so entwickeln sich wohl auch Menschen. Bloß scheint es bei uns nicht ganz so leicht festzulegen zu sein, wann und ob dieser Prozess je abgeschlossen sein würde.
Wenn wir das achtzehnte Lebensjahr erreichen?
Wenn wir einen Beruf ausüben?
Wenn wir eine Familie gründen?
Wenn wir die Eltern verlieren?
Wenn wir auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden, man uns den Boden unter den Füßen wegzieht und nichts mehr bleibt, als der Verlass auf sich selbst?
Wann ist man erwachsen? Oder besser:
Was kann aus einem Selbst erwachsen – und hat dieses „Etwas“ jemals ein Ende?
Gibt es tatsächlich eine Grenze, die definiert, ab wann man in diesen privilegieren Status eintritt? Ist es wahrhaft notwendig, eine allgemein gültige Wertung dazu zu definieren oder behindern wir damit jenes Etwas, das aus uns erwachsen kann, weil wir ihm so kaum Raum dazu geben, da wir genau definierten, was „erwachsen“ sei – und was nicht.
Letzteres offenbart, dass es „erwachsen“ in unserem angewandten Sinn kaum geben kann: Etwas kann nicht nicht erwachsen sein – alles ist in irgendeiner Form erwachsen. Jedes, jeder und jede auf seine ganz eigene Art.
Vielleicht sind wir körperlich ab einem bestimmten Zeitpunkt ausgewachsen. Doch auch hier wäre womöglich zu bedenken, dass man im Alter bekanntermaßen „kleiner wird“ – so profan das auch klingt. Ist nicht auch dieser Prozess eine Form von Wachstum? Ein ins Gegenteil gekehrtes Wachstum, dem wir kaum Beachtung schenken?
Wir befinden uns konsequent im Wachstumsprozess. Jeder in seine Richtung. Und vielleicht können wir ein klein wenig davon steuern, beeinflussen und zum vermeintlich „Guten“ oder gesellschaftlich Anerkannten wenden.
Doch erwächst aus mir etwas dem „Selbst“ nicht Entsprechendes – wie kann ich sicher sein, dass ich den für mich wahrhaften Weg wähle, ohne mich selbst zu betrügen, um das vermeintlich „Richtige“ zu tun?
Es ist ein spannendes Thema, dieses „Erwachsene“. Das „Erwachsen“. Und es geschieht auf so vielen Ebenen. Ich könnte Tage darüber schreiben, darüber nachdenken. Zig Runden auf und um Island drehen. Mit sanfter Musik im Ohr, der Sonne im Rücken und der Küste vor Augen.
Nichts weiter als Denken. Denken und Schreiben. Über Themen und Dinge, die mich beschäftigen. Die aus mir erwachsen. Und voller Inbrunst ohne Rücksicht auf das, was durch’s geschriebene Wort in Anderen erwächst. In voller Freude über den zufälligen Einfluss meines Erwachsens auf andere Menschen und Leben.
Vielleicht ist es dann auch das, was man Schicksal nennt. Der zufällige und doch inbrünstig erschaffene Einfluss auf ein anderes Leben und die daraus erwachsene Gelegenheit zu etwas, womit jenes anderes Leben niemals gerechnet hätte.
Ich genieße diesen Moment. Im Sessel zu sitzen, sanfter Musik zu lauschen und meiner Emotion Ausdruck zu verleihen. Gedanken „fliegen“ zu lassen, aufzuschreiben und in die Welt hinauszutragen. Ohne Rücksicht auf die Resonanz – oft kommt diese ganz von selbst.
Hätte ich alles Geld der Welt, ich würde nur noch so dasitzen. Denken und Schreiben und mich ab und an mit der Umwelt austauschen. Mit jeder Blume, mit jedem Wipfel und jedem Tier. Mit jedem Mensch und jedem Leben, dem ich begegne.
Nur um mich dann wieder zurückzuziehen und darüber zu grübeln, zu fühlen und etwas Neues erwachsen zu lassen.
Man könnte also sagen:
Ja, ich bin erwachsen. Aus dem, der ich vorher war. Und wenn ich richtig liege, werde ich wohl noch einige Male mehr erwachsen. Woraus, wird sich zeigen.