Februar 15

Ist das Heimat?

Ich sehe ein Bild auf Instagram. Nichts Besonderes, würde man meinen. Ein Restaurant, französischer Flair. Geradezu eingelassen und liebevoll ausgestaltet in einem spitzwinkligen Eckhaus, das dem Haussmann-Stil wie kein Zweites zu gleichen vermag. Seine Lamellen sind orange, die Markisen in denselben Ton getaucht. Davor Stühle. Sie wären leicht anzuheben und zu verschieben, säße man nicht vor, sondern im Bild. Diese Art Stühle, die klassisch geflochten aussehen und sich dennoch als Plastik entpuppen, fügt man den eigenen haptischen Eindruck in die Bestandsaufnahme ein. Dazwischen kleine runde Tische, über denen der Begriff Chouchou in abgerundeten Bauhaus-Stil-artigen Lettern prangert.

Während ich das Bild betrachte, kribbelt mein Bauch. Ich kenne diese Ecke. Nur zu gut. An jenem Tag, an dem zweifelsohne unsere noch ungeborene, aber uns bald vermutlich viel Freude bereitende und wenig Schlaf bescherende Tochter gezeugt wurde, passierte ich das Café. Es war noch früh am Morgen, die Straßen leergefegt. Früh meint in diesem Fall ein Zeitfenster zwischen etwa sieben und sieben Uhr fünfzehn, was für den geneigten Franzosen noch mitten in der Nacht bedeuten dürfte. Ähnlich wirkte das gerade erst erwachende Café Chouchou auf mich. Die Markisen noch nicht ausgefahren, ein leichtes Dämmerlicht im Inneren und zwei Personen, vermutlich Betreiber und Kellner, die sich beim ersten Espresso des Tages über die eigenen Befindlichkeiten austauschen. Wie gerne stünde ich mit diesen Menschen dort. Spräche nicht nur fließendes, sondern sprudelndes Französisch und lebte von der scheinbar simplen Tätigkeit des Servierens und Abräumens. Sähe fremde Gesichter, Tag ein, Tag aus, und spielte stets mit dem Gedanken, irgendwann auszubrechen und all das hinter mir zu lassen.

Vielleicht sehne ich mich danach, um diese ganz spezielle Form der Lebensvorfreude noch einmal zu spüren. Diesen inneren Wahn des Sturm und Drang noch einmal durchleben zu können. Und vielleicht sehne ich mich auch nach Einfachheit. Nach reiner Zwischenmenschlichkeit, die ohne belastende Hintergedanken funktioniert und so einfach ist, dass sie mich irgendwann zu langweilen beginnt.

Das Chouchou wäre ein solcher Ort. Inmitten der Hektik der Rue Sebastopol, auf der linken Seite ortsauswärts in Richtung Norden. Gar nicht einmal inmitten des Quartier Latin, das mir heute noch Tränen in die Augen treibt beim Gedanken, dort in diesem Jahr womöglich nicht mehr entlang zu spazieren, nur um einmal die offensichtliche und geheime Selbstlüge zu verfolgen, das Panthéon sei alltäglich, zu meinem Alltag gehörend. Im Chouchou würde ich das reine Paris riechen, sprechen, schmecken, hören und auch zu spüren bekommen. So sehr, dass ich am Abend die Füße hochlegte. Angestrengt vom vielen Kellnern und Reden. Mein mickriges Trinkgeld zählend auf dem Sofa säße und aus dem einen Spalt offen stehenden Fenster aus die gegenüberliegende Häuserfront blickte, während die Stimmen der nie endenden Ausgehenden erst gen Mitternacht verhallen.

Es ist diese Art von Leben, die man in typisch französischen Filmen zu spüren bekommt. In ‚So ist Paris’ versetzt sich Romain Duris in die Rolle eines wohl schwer- bis todkranken Tänzers, der seiner Leidenschaft des Tanzens nicht länger nachzugehen in der Lage ist und fortan die Stadt Paris nur noch aus seiner Wohnung im etwa sechsten Stock wahrnehmen kann. Es berührt mich, diese Bescheidenheit und Eingeschränktheit an einem zugleich solch vielfältigem Ort wahrzunehmen. Selbstredend schließt der Film ohne ein klares Ende. Für den Zuschauer bleibt unklar, ob die nun rettende Operation, die am Filmende angeschnitten wird, Heilung bringt oder ins Nirvana führt. Doch letzten Endes ist das nicht mehr oder weniger als vollends egal. Irrelevant. Darum ging es nicht. Das war nicht, was der Film behandelt.

Mit So ist Paris gelingt den Regisseuren samt Schauspielern ein Stück voll Glanz und Gloria. Alltäglichen Glanz und der sich darin verbergenden Gloria, die oftmals ein jähes Ende findet, indem sie keines findet.

Genau diese Belanglosigkeit inmitten eines vom Menschen geschaffenen Paradieses möchte ich spüren. Diese Lässigkeit und Églité, die den Franzosen vermeintlich ausmacht. Genau diese Lebensweise reizt mich. Und zugegeben: Sie fehlt mir.

Wenngleich Frankreich wohl offiziell nicht als mein Heimatland durchgeht, so ist zumindest Paris nichtsdestotrotz das Herzstück meines Emotionskörpers auf geografischer Ebene. Und so bleibt stets ein gewisses Kribbeln, wenn ich am Chouchou vorbeischlendere. Aus Versehen frischen Baguette- vermengt mit Kaffeeduft schnuppere und die gespülten Biergläser vom Vorabend auf der Theke stehen sehe.

Es ist so, als würde ich nie wieder wegwollen, obwohl ich längst zig Kilometer entfernt bin, was ich mir nie ganz eingestehen werde. Und es treibt mir jedes Mal die Tränen in die Augen, an all die Gerüche der Stadt, unserer Wohnungen, meiner liebsten Ecken denkend  – im Wissen, dort gerade nicht leben zu können.

Ist das Heimat?

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Über Alex

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Alex Schreiner

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