Finnische Pizzen

Finnische Pizzen sind klasse. Der Boden hauchdünn, die Sauce kernig rot und der Mozzarella förmlich zum Dahinschmelzen. Vor allen Dingen sind sie aber eines: Warm.

Es schlägt etwa 00:32 Uhr. Wir streunen durch Kokkola, ein uraltes Dorf im Nordwesten Finnlands. Den Abend verbrachten wir im Irish Pub des Ortes, der neben einunddreißig verschiedenen Biersorten aus aller Welt auch Krombacher servierte. Ein dankbares Angebot, wie sich zeigte: So konnte Jasmin auf heimisches Radler zurückgreifen, zählte diese Bar doch zu jenen seiner Art, denen man eine gute Cocktail-Mischung nicht unbedingt zutraute. Bier wiederum konnten sie. Und wie.

Wir nahmen an einem kleinen Tisch Platz. Nicht weit entfernt von der Eingangstür, durch die sicher ein kalter Luftzug ziehen würde, sofern weitere Gäste das Lokal beträten. Von den herabsinkenden im Winde taumelnden Schneeflocken trennte uns eine etwa fünf Millimeter dicke Glasscheibe, an der gen späteren Abend unsere Köpfe lehnen sollten.

Ich stand auf und ging zur Theke. Wie es sich für einen irischen Pub gehört, bestellte man vorn. Ein Zapfhahn an den nächsten gereiht, lächelten mich etwa zwölf finnische Biersorten an, in deren Namen mehr Konsonanten Platz fanden als für mitteleuropäische Verhältnisse üblich. Ich kannte keines davon.

„Probieren?“ Statt einem finnischen Hünen lächelte mich ein klein gewachsener Philippiner an, bereit, um meine Bestellung aufzunehmen. „Was würden Sie empfehlen? ’s sind alles regionale Biere, oder?“ Er nickte. Wortlos griff er nach zwölf kleinen Gläsern und begann zu zapfen. Wenige Sekunden später starrten mich zwölf zu je 0,1-Liter Bier gefüllte Gläser an. „Testen Sie.“ Seine offene Handfläche fuhr über das thekenfüllende Glaswerk, mit breiter Brust stand er mir gegenüber. Ich probierte. Und probierte. Und probierte.

Einige Minuten später fand ich den Weg zurück zum Tisch. Jasmin wartete bereits ungeduldig auf einen halben Liter Jugenderinnerung. Auf die Frage, was so lang gedauert habe, schmunzelte ich bloß: „Netter Mann, der Wirt.“ Sie verstand.

Neben dem örtlichen Stammtisch waren wir die einzigen Gäste im Lokal. Der Blick durch die kühle Scheibe wärmte uns. Und bei all den Bieren, die ich probierte, war es letztendlich doch das Krombacher, das uns durch den Abend trug, in Erinnerungen schwelgen ließ und uns bis an die Tür begleitete. Ein harmonischer Abend, eine wundervolle Nacht.

Und da stehen wir nun. Irgendwo in Kokkola. Auf der Suche nach fettiger Abendpizza, während wir uns den Weg zu unserer Unterkunft bahnen. Hand in Hand, mit schmelzenden Schneeflocken im Gesicht und warmem Bier in den Adern.

Die Pizza würden wir noch finden, eine recht große sogar, binnen weniger Minuten auf dem Bettlaken verspeisen, um ein wenig später sanft in den Schlaf zu sinken.

Morgen früh ginge es dann weiter in Richtung Norden. Doch für heute wär’s das. Und für heute war’s gut. Ich liebe diese Art von Abenden. Die sich nicht ankündigen, auf ihre eigene Weise unvergessen bleiben und uns Momente voller Ruhe und Gelassenheit schenken. Da kann auch ein Krombacher plötzlich ganz anders schmecken.

Nordfinnische Business-Gedanken

Ich schließe einen Tab in meiner Browserleiste. Das kleine Fenster samt seiner Titelzeile mit der Aufschrift „Buffer“ wird sein Dasein in wenigen Millisekunden vergessen haben. Nur die winzigen Spuren im Browserverlauf sind das Einzige, was von ihm übrig bleibt. Beim nächsten Mal würde man sich sicher an mich erinnern, doch er wäre nicht mehr derselbe.

Das nächste Mal aber ist noch weit entfernt. Gerade erst verfasste ich eine berufliche E-Mail und wünschte der Empfängerin ein schönes und erholsames Wochenende – wie es sich gehört. Die Frage bleibt nur: Warum gibt es diese klassischen Wochenenden für mich nicht? Zumindest momentan.

Sicher, sie kommen vor, ganz spartanisch. Diese befreiten, gedanklich unbelasteten Wochenenden samt seiner langen Mon- und Dienstage, die einfach nicht zu enden scheinen und keinen Anlass zum Grübeln geben.

Inzwischen sind sie jedoch selten geworden. Selbst hier, im tiefsten Walde Nordfinnlands, erreicht uns schnellstes LTE-Netz, jede Benachrichtigung aus sozialen Netzwerken und jede Meldung über Verkäufe unserer Produkte. Nichts ist anders als irgendwo sonst auf dieser Erde.

Ich bin sicher: Selbst in der Antarktis gibt es mobiles Netz. Zumindest innerhalb der chicen 5-Sterne-Iglus.

Dennoch bereitet es mir Freude – und das Abstellen eines Denkprozesses gelang mir noch nie allzu gut. Zumindest dann nicht, wenn er zielführend zu sein scheint. Denn genau das ist momentan der Fall: Das, was oftmals als leidige Arbeit interpretiert wird und gemeingültig zur vermeintlichen „Urlaubsreife“ beiträgt, die man nur allzu gern vorgibt, um aus seinem Alltag zu fliehen, erfüllt mich derzeit eher, als dass es ermüdet.

Selbst intime Saunagänge in trauter Zweisamkeit erfreuen sich steter Begleitung intensiver und tiefgründiger Business-Ideen und bedürfen des intensiven Austauschs darüber. Es macht einfach Freude.

„It will always be there – everywhere you go. No matter if you’re on fuckin‘ holiday or at home: You’ll never be without.“ So oder ähnlich hörte ich es erst kürzlich von Gary Vaynerchuck aus meinem iPhone grölen, als er über erfüllende Business-Gedanken philosophierte.

Und tatsächlich wird er wohl Recht behalten: Nichts ist mehr so, wie vor anderthalb Jahren. Kein befreiendes Reisen mehr. Schließlich gibt es nichts, von dem ich oder wir uns noch befreien wollen würde oder würden.

Und so wird auch das bezaubernde wie verzaubernde Finnland zu einem vielschichtigen Abenteuer: Zwischenmenschlich, naturell und geschäftlich.

Spannend, welch kreativen Gedanken solche Ortswechsel mit sich bringen.

Ich hoffe auf Nordlichter.

 

Viele Grüße aus dem Iglu,

Alex

Ein Zimmer in Espoo – Momentaufnahme

„Was haben wir uns nur dabei gedacht, uns einen Bus zu kaufen? Wir, ausgerechnet wir?“ Jasmin steht am Rande des Zimmers; die Arme ihren Kulturbeutel umschlingend, das Handtuch über die Schulter geschwungen. Sie ist gerade dabei, den Raum zu verlassen. In wenigen Minuten stünde sie inmitten des Gemeinschaftsbads dieser Etage – zwischen halbherzig gewischten Ablageflächen und dubios klamm erscheinenden Handtüchern, dessen Besitzer nicht mehr auffindbar sind.

Eine Nacht kostet uns 62 Euro – für ein Zimmer mit zwei getrennt stehenden Betten, ein zweifelhaftes Gemeinschaftsbad und eine nicht gerade appetitanregende Küchenzeile, die ebenso von Jan und Jedermann genutzt werden kann.

Gott aus Frankreich hätte diese Reise sicher anders begonnen. Doch irgendwie sind wir erwachsener geworden. Dass eine Reise nach Nordeuropa teuer wird, war uns von vornherein klar. Und dass wir keine mittlere dreistellige Summer in ein Hotelzimmer nach deutschem Standard außerhalb Helsinkis investieren, ebenso.

Achja, von wegen erwachsen werden: Vor etwa einem Jahr – wir bereisten gerade Island samt seiner Westfjorde – hätte mich ein solcher Zustand wohl etwas aus der Bahn geworfen, mir meine Fassung genommen. Heute sieht das wohl etwas anders aus. Oder besser: Es fühlt sich reifer an, so ganz tief drin.

Lediglich ein leises Schmunzeln huscht über meine Lippen, wenn mich zurückerinnere und feststelle, dass wir für das Hilton-Hotel in Hanoi nahezu denselben Preis zahlten – inklusive 5-Sterne-Frühstück versteht sich.

Im Gegenzug hatte Vietnams Hauptstadt jedoch eine nicht ganz so erquickende Luftreinheit zu bieten, sodass es sich irgendwo wieder ausgleicht.

Und immerhin kamen wir nicht nach Finnland, um von Luxushotel zu Luxushotel zu sausen. Die Romantik rauer Natur trieb uns einmal mehr in den hohen Norden – und mit ihr die Hoffnung auf unvergessliche Wochen sowie einige Tagen vollkommener Technikabstinenz.

In wenigen Wochen zurück in Helsinki würde das Ganze ohnehin schon wieder reichlich anders aussehen: Mein Geburtstag klopft an der Tür, wir verweisen darauf, dass auch ein Freitag, der Dreizehnte ein besonderer Glückstag sein kann und genießen den Abend im engsten Familienkreis.

Und für all jene, die diesen Text genauso ruhig dahinplätschernd wahrnehmen, wie ich: Ja, es macht mich ein klein wenig stolz. Dass ich meine Emotionen besser im Griff habe als etwa ein Jahr zuvor und Situationen gelassener hinnehme. Inzwischen gelingt es mir, Situationen besser zu umschreiben, statt sie gleich zu werten oder in Rage der Extreme zu geraten. An sich ein wirklich schönes Gefühl, so ein kleines Stück Realismus in sich zu wissen.

Es schlägt neun Uhr. Jasmin betritt unser Zimmer, ihre Haarspitzen sind noch leicht feucht. Auf meine Frage, wie es ihr in der Zwischenzeit ergangen ist, entgegnet sie: „Okay. Und bei dir?“

Wir sind eben doch ein kleines Stück erwachsener geworden.