Obdachlos um 03:10 Uhr

Es gibt Momente im Leben, in denen du gar nicht registriert, was gerade um dich herum geschieht. Genauso ging es uns, als wir mitten in der Nacht in Island landeten – und binnen Sekunden ohne Gepäck, Kleidung und Bleibe dastanden. Und doch hätte die Sache etwas Gutes…

Müde Augen, ratlose Gesichter und tausend offene Fragen: Wir stehen in Keflavik am Airport und trauen unseren Augen kaum. Vor uns drängeln sich hunderte Menschen, die ursprünglich in einer geordneten Schlange anstanden, wild durcheinander in Richtung Schalter. Hinter dem Tresen steht ein junger Mann, nicht allzu groß mit blonden schulterlangen Haaren und einem Dreitagebart im Gesicht, und versucht verzweifelt die Meute in Schach zu halten. Jeder, der in der aufgebrachten Menge nervös von einem Fuß auf den anderen zappelt, wedelt geradezu panisch mit einem weißen Stück Papier in der Hand in der Luft herum. Die meisten unter ihnen Deutsche – nicht allzu schwer zu erkennen, wenn man genau hinhört.

Doch andererseits ist es kein Wunder: Immerhin war es die deutsche Luftfahrgesellschaft AirBerlin, die „aus Sicherheitsgründen“ nur die Hälfte des Gepäcks mitnehmen konnte. Eine Erklärung, die – so ausgedacht sie auch klingen mag – wasserdicht ist. Immerhin würden wir es niemals nachprüfen können.

Zu unserem Glück kreuzen wir den Weg einer Servicebeauftragten, die sich gerade hinter den zweiten Gepäckschalter stellen möchte, noch bevor sie jenen eröffnen kann. Ich drücke ihr unseren weißen Zettel in die Hand, der uns die vergessenen Koffer zurückbringen soll. Ein bisschen so, als würde man einen Lottoschein abgeben. Zumindest fühlt es sich so an.

Inzwischen ist es 03.10 Uhr isländischer Zeit. Dunkel wird es zwar nicht, dennoch geht die Nacht an meinem Körper nicht spurlos vorbei. Wir fahren ins nächstgelegene Hostel, um einige Stunden zu schlafen.

Der Vulkankrater Kerid von oben
Islands Schönheit: Der Vulkankrater Kerid nahe Reykjavik

The Day after and after and after

Es vergehen dreieinhalb Tage, bis wir unser Gepäck erhalten. Dreieinhalb Tage, unzählige isländische Kronen und reichlich Benzin ziehen an uns vorbei, ohne dass wir unseren so ausgiebig geplanten Roadtrip überhaupt starten können.

In den Nächten springen wir von Hostel zu Hostel – je nach dem, wo gerade etwas frei ist. An den Tagen, die sich kaum von den Nächten zu unterscheiden scheinen, lernen wir Reykjavik und das isländische Südland kennen wie unsere Westentasche. Und obwohl so viel Geld, Sprit und vor allen Dingen Zeit aus unseren Händen zu fließen scheint, wird uns eines immer bewusster: Es geht um Menschen, viel eher als um Orte. Zwar sind wir womöglich nicht in der Lage, jenen Sachverhalt objektiv zu beurteilen, da wir in einem gehörigen Luxusproblem gefangen sind – immerhin stecken wir an der Südküste auf einer der schönsten Inseln der Welt fest, oh Schreck! – dennoch bemerken wir, dass die schlichte Anwesenheit des Anderen den Moment viel erträglicher und eigentlich wundervoll gestaltet. Lediglich ein Gedanke, der unser Unterbewusstsein auszufressen schien, versetzte uns und insbesondere mich zu Beginn in eine recht unbequeme Geisteshaltung.

Erkennen wir aber einmal, dass es möglicherweise gar nicht so schlimm ist wie wir denken oder noch besser: vielleicht Schicksal sein könnte, so wird aus einer gerade noch unkontrollierten Misslage eine „Lass uns die Zeit so schön wie möglich verbringen, wir haben doch alles was wir brauchen“-Haltung. Und, was soll ich sagen, wir kennen uns nun aus im Süden Islands… und für den Rest bleibt uns immernoch mehr als genug Zeit.

Danke, AirBerlin! Irgendwie hast du das doch ganz gut gemacht. 😉


Willst du mehr?

Dann trage hier deine Mailadresse ein und ich schicke dir mein kostenloses Buch per Mail zu!
Über 50 Seiten voller Inspirationen, Geschichten und Erfahrungen aus aller Welt. Reisefieber garantiert! Worauf wartest du?
[yikes-mailchimp form=“1″]

Trauerspiel oder Schicksal: München bei Regen

Viele meiner Geschichten erzählen von inspirierenden Menschen, Orten und wundersamen Begegnungen in fremden Ländern zwischen unzähligen Unbekannten. Viele meiner Geschichten handeln von Erlebnissen und Weisheiten Dritter, die mich in irgendeiner Weise beeinflussen und bewegen – und dich als Leser vielleicht auch. Doch genau in dem Moment, als niemand meiner Story-Heroes zugegen war, als große Pläne und ein Dutzend Überraschungen ins Wasser fielen, als all die Lehren und Inspirationen für ein paar Sekunden nichts Wert waren, durfte ich erfahren, wer mich all die Monaten wirklich beeindruckt, beflügelt und aufmuntert, wenn alles in seine Einzelteile zu zerfallen droht.

Es ist Dienstag, siebzehn Uhr. Gemeinsam mit meiner Freundin sitze ich auf dem Bett unseres Hotelzimmers. Unfreiwillig lauschen wir dem Ventilator, der unsere schnurgerade aufgereihten und durchnässten Schuhe zu trocknen versucht. Im Hintergrund prasselt der Regen auf das unter dem Zimmerfenster liegende Hausdach. Bei genauerem Hinsehen erkenne ich, wie die Wassermassen über die zinnerne Regenrinne hinauslaufen und Tropfen für Tropfen auf den Betonboden platschen. Betrübt blicke ich gegen die weiße Wand. „Das können wir dann wohl vergessen“, stöhne ich genervt von den bayrischen Wetterlaunen vor mich hin. Im Spiegel sehe ich mich meine Augenbrauen hochziehen und meine Lippen enttäuscht aufeinander pressen. Noch immer liegen wir auf dem Bett. Sie weiß nicht, was uns der heutige Abend eigentlich hätte bringen können. Welch‘ Erinnerungen hätten entstehen können, welchen Spaß wir hätten haben können. Doch nichts dergleichen ist möglich. Das Wetter verbietet es. Ich lasse mich ins weiße Laken sinken und hake den Abend gedanklich ab. Verbittert drehe ich mich auf die rechte Seite und liege somit rücklings zu meiner Freundin, die noch aufrecht im Bett sitzt und mir aufgrund meiner neuen Liegeposition behutsam über den Hinterkopf streicht. „Ist doch nicht so schlimm“, haucht sie mir zart in mein linkes Ohr, „wir haben doch schon so viel gesehen.“ Ich schließe meine Augen. „Nein“, denke ich, „das haben wir nicht.“ Immerhin sind wir in München, einer meiner absoluten Lieblingsstädte! Da reicht es nicht aus, einmal durch die Stadt zu laufen, alle Sehenswürdigkeiten abzuhaken und zum vermeintlichen Alltag überzugehen. Wir sind in München, der Stadt, die mich schon so oft so tief in seinen Bann gezogen hat. „Wir haben nicht viel gemacht“, wiederhole ich leise. Ich spüre, wie sie mir einen mitfühlenden Blick zuwirft. Langsam aber sicher plagt mich ein schlechtes Gewissen.

Selbstvorwürfe und Erwartungshaltungen

Noch ein paar Minuten liege ich in meiner kauernd ignoranten Haltung regungslos auf dem Bett. Innerlich weiß ich, dass es allein meine Ansicht ist, die mich diese Emotion durchleben lässt und zugleich meine Freundin belastet. Doch mein Körper möchte das noch nicht so ganz verstehen. Ich liege nach wie vor auf meiner rechten Schulter.

„Weißt du, was ich in den Momenten denke, in denen ich am liebsten zig Teile beim Shoppen sofort kaufen möchte, obwohl ich weiß, dass ich es nicht sollte und auch nicht tun werde?“, erreicht mich eine friedvolle Stimme von hinten, „Eigentlich könnte ich ja unzufrieden sein. Alles kann ich mir ohnehin nicht leisten, obendrein hab‘ ich die Hälfte dessen womöglich schon in anderer Ausführung zu Hause und wirklich brauchen – darüber müssen wir gar nicht reden. Ich kaufe mir also nichts dergleichen und gehe mit leeren Händen wieder hinaus. Früher hat mich das wirklich geärgert.“ Ich fühle an den den wellenförmigen Spannungen des Betttuches an meiner Brust, wie sie sich aufrichtet und ein wenig über mich lehnt. „Aber heute ärgert es mich nicht mehr. Und weißt du warum? Weil ich weiß, dass du unten am Eingang auf mich wartest und wir Hand in Hand wieder hinausgehen. Weil ich weiß, dass wir beide uns haben – und ich schlichtweg nicht mehr brauche, um meine Zeit zu genießen. Du reichst mir völlig aus, alles Andere ist einfach zweitrangig. Deshalb kann mir kein erfolgloses Shoppingerlebnis oder Jahrhundertregen unseren Aufenthalt verhageln. Wir sind schließlich gemeinsam hier. Das reicht doch, um glücklich zu sein. Oder findest du nicht?“

„Love can change the World in a Moment.“ – Ed Sheeran

Wenige Sekunden verharre ich, während ich frontal vor die weiße Wand neben meinem Nachttisch blicke. Dann drehe ich mich um. Ich sehe ihr liebevoll in die Augen, streiche über ihre Wange und küsse sie auf selbige. „Danke“, erwidere ich schluckend. Ich richte mich auf und hebe erst meinen rechten, dann meinen linken Schuh aus der Reichweite des Ventilators. „Gehen wir los.“

 


Sicher hat dieser Artikel nicht viel mit bezaubernden Orten oder dem Reisen per se zu tun. Dennoch war es mir ein Bedürfnis kurz die Momente aufzuzeigen, die es ebenfalls gibt: Tiefs, Null-Bock-Momente und die Frage nach dem Warum. In diesen Momenten brauchst du jemanden um dich herum, der zu dir hält und dich ermuntert. Und ich wüsste niemanden, der das besser kann als du, liebe Jasmin. Schön, dass es dich gibt – und Danke, dass du all‘ das mit mir mitmachst. Ich liebe dich.


Willst du mehr?

Dann trage hier deine Mailadresse ein und ich schicke dir mein kostenloses Buch per Mail zu!
Über 50 Seiten voller Inspirationen, Geschichten und Erfahrungen aus aller Welt. Reisefieber garantiert! Worauf wartest du?
[yikes-mailchimp form=“1″]

Begegnung am Ende der Welt

Ich stelle meine Schuhe in den Kühlschrank. Die Sohle habe ich schon herausgenommen. Sie stehen genau an der Stelle, wo meine Mutter den Käse hinstellen würde. „Den Käse stell‘ immer ganz nach unten im Kühlschrank. Am besten über die Obst- und Gemüsefächer.“ Welch Ironie, dass genau dort nun meine Schuhe ihren Platz gefunden haben. Zugegebenermaßen riechen sie ein wenig. Und es ist genauso unangenehm, davon zu schreiben, wie den Duft wahrzunehmen. Aber es ist die Wahrheit. Und das Ergebnis tagelangen Wanderns durch die kurvigen Berglandschaften Neuseelands.

Neuseeland an sich erscheint mir klein. Noch vor gar nicht so langer Zeit durchquerte ich die australische Südküste, hunderte Kilometer trennten meine Nachtlager voneinander. „Begegnung am Ende der Welt“ weiterlesen