Fensterscheibenmonotonie

Ich hocke auf dem Sofa. Meine Finger stinken. Nach Calzone. Ich hänge mehr als dass ich hocke. Die Füße an die Kante gestemmt, der Rücken krumm. Ich höre meine Mutter innerlich schon rufen. Dass es meinen Rücken schädigt. Dass ich nochmal einen Buckel bekäme. Aber das interessiert mich nicht. Vielleicht habe ich den Buckel auch schon. Und niemand sagt’s mir.

Eigentlich möchte ich aber gar nicht hier sein. Zumindest im Moment nicht. Den ganzen Tag habe ich in diesem Raum verbracht. Geschuftet wie ein Irrer. Zumindest verkaufe ich mir das recht glaubhaft. Tatsache ist: Der Tag verfliegt, wenn man am Kabel hängt.

Ob das Büroarbeit ist? Möglich wär’s.

Ich bin ein Nomade in Ketten. Nicht jeden Tag. Aber heute. Meine Freundin bestätigt’s. Den halben Tag ist sie unterwegs. Heute nicht. Heute war sie hier. Im Zimmer. Gemeinsam mit mir.

Und das mit uns, so eng auf eng. Das klappt wunderbar. Wie geschnitten Brot. Geht runter wie Öl. Ist kein Thema. Ist kein Problem.

Aber das mit dem immerselben Raum, dem immerselben Fenster und dem immerselben Ausblick. Das geht so nicht. Geht nicht auf ewig.

Meine Joggingrunde kenne ich auswendig. Learned by heart. Man könnte mir die Augen verbinden. Ich würde sie immer noch laufen. Die paar Kilometer. Gut, dass ich nicht mehr Kondition habe. Sonst müsste ich dreimal um den Ort laufen, um trainieren zu können. Ein fürchterlicher Gedanke.

Erst kürzlich, für einen kleinen Moment, blickte ich durch beschlagene Fenster. Heimatkneipe. Schaudernder Anblick. Quellende Gesichter. Einst so vertraut. Sie blickten mich an. Auge in Aug‘. Wer aus dem Hellen ins Dunkle blickt, sieht doch nur sich selbst.

Ich kenne sie gut. Früher saß‘ ich dort auch. Gesicht für Gesicht. Stunde für Stunde. Nächte lang. Getrunken. Getrunken. Getrunken. Geraucht. Vielleicht eine. Und getrunken. Bis der Laden schloss. Und dann weiter. Draußen. Im Regen, im Kalten, im Schnee. Egal. Die Welt waren wir. Und beschränkte sich, ganz lapidar. Auf ein Dorf gebaut inmitten des Nichts. Aber in Ordnung. Das war sie. Wie das so ist. Hier auf dem Land. Ein anderes Leben? Das kannten wir nicht.

Und dann weiß ich nicht mehr. Dann wird es mir fremd. Ich bin gegangen, sie sind geblieben. Am immerselben Tisch. Mit den immerselben Gläsern. Mit dem immerselben Bier. Verschalt und vergossen.

So war das schon immer. So ist es noch heute.

Und nun steh‘ ich draußen. Komm‘ nicht mehr herein. Blick‘ nur durch das Fenster. In stets leere Blicke. Ach, könnt‘ ich sie sprechen. Dann würde ich sie warnen. Verscheuchen. Vertreiben. Hinaus aus dem Dorf. Hinein in die Welt. Einfach hinein.

Doch dort im Fenster, dort sehen sie sich. Immer nur sich. Und immer nur sich. Und kaum etwas And’res. So ist’s auch im Leben. Eines Typen von hier. Er sieht immer nur sich und zwei Meter weit. Bis die Scheibe den Blick trifft und das Spiel seinen Lauf nimmt. Das Glas stets sich füllt. Der Sitz schon ganz warm. Der Schaum an der Lippe. Darunter die Kippe.

Das war immer schon so und wird immer so bleiben.

Ach, könnt‘ ich doch nur euch von hier vertreiben.

Dann könntet ihr sehen, was ihr verpasst. Fremde Luft riechen. Gesichter erkennen. Euch selbst neu erfinden. Aus Zwängen verschwinden. Masken ablegen. Die Titel beiseite. Offen für’s Leben. Frei euer Herz.

Ihr wachst hier noch fest, wie einst euer Vater. Klar, ist nicht schlimm. Was wollt ihr mehr als Frau, Haus und Kind? Das ist nun das Leben, das man hier so lebt. Was Fremdes ist komisch. Ist fast schon verkehrt.

Drum wünschte ich euch, ihr kämet hier raus. Bei Nacht und bei Nebel. Einfach nur raus. Dass keiner es merkt. Dass keiner es petzt. Und dann, wenn ihr weg seid, dann treffen wir uns. In anderen Orten, zu anderen Zeiten, mit anderen Jungs. Mit genau jenen Frau’n, die ihr euch so wünscht. Dann würdet ihr leben.

Erst um zu begreifen, wie sehr es sich lohnt. Sich bloß das zu nehmen, wovor man euch schont.