Tick-Tack

Man sagt, Zeit sei unser kostbarstes Gut. Man könne alles wieder gewinnen, zurückholen, erneut erobern und wiederbeleben – mit Ausnahme der eigenen Lebenszeit. Man möge voller Obacht mit jener selt’nen Ressource umgehen. Sparsam sein, bewusst handeln, sie nicht vergeuden. Zeit verginge und käme nie wieder.

Dabei verschlingt allein das moralgeladene Reden über Zeit und ihre Vergänglichkeit schon massenweise davon. Ähnlich wie eine zur Hälfte gefüllte Spülmaschine, verschlingt das stetige Nachdenken, Grübeln und Planen mehr Zeit, als es in der metaphorischen Spülmaschine Wasser bräuchte.

Wir benehmen uns wie Zeitphilosophen. Noch besser: Zeitpolitiker. Schwingen Reden über die Relevanz des Auskostens der Zeit, die bleibt – und lassen unseren Worten keine Taten folgen.

Nein, im Gegenteil: Hin und wieder verschwenden wir nicht bloß Zeit. Wir verschenken sie. Nicht etwa zum Vorteil eines geliebten Menschen. Nicht etwa, um jemanden aus der Patsche zu helfen oder anderen edlen Motiven folgend. Sondern, um unser Leben zu verkürzen. Wir geben Zeit zurück. Als würden wir von einer lebenslangen Ration Nahrung stetig Abstand nehmen. Oder wegwerfen.

Pure Paradoxie, teilen und stehlen wir einander doch allzu gern zeitverschenkende Lebenszeit. Es ist also eine recht komplexe Rechnung, wenngleich das Ergebnis nie positiv ausfallen kann. Gemessen an der Aussage, gemeinsam erlebtes Glück sei das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt, stellt sich die Frage:

Was wäre, wenn geteilte Glücksmomente zwar das Lebensglück verdoppeln und die Zeit unendlich scheinen lässt, Letztere durch die zusätzliche Intensivierung von künstlich herbeigeführten Stoffen tatsächlich aber verkürzt?

Die gemeinsame Pausen-Zigarette beispielsweise, eine freundschaftlich gedampfte Wasserpfeife oder der kleine Joint unter Freunden. Was wäre, wenn diese Momente voller geteiltem Lebensglück lediglich Wölfe im Schafspelz wären? Und den leidvollen Moment des Abschieds schlicht näher rücken ließen, als er zuvor schien?

Das geteilte Glück verdoppelte sich nach wie vor. Doch die gemeinsam verlebte Zeit verginge schneller. Wenn man also vermeintlich intensiveres Glück erlebte, dafür aber weniger dieser Momente leben könnte – wie sinnvoll wäre diese Rechnung?

Wenn man diese eine Reise des Lebens antreten würde, ohne aber zu Lebzeiten das Klima zu schützen und es bei dieser einen Reise bliebe – wie wertvoll wäre dieses Erlebnis tatsächlich?

Wenn man abendlicher Thekenphilosophie folgend stets über sein Leben samt zeitlicher Begrenzung nachdachte, ohne zu handeln: Wie wenig Zeit bliebe übrig, um ein etwaiges Ergebnis der philosophischen Anstrengungen noch umzusetzen?

Wenn man jegliches Wissen über menschliche Gesundheit und Fitness sammelte, es jedoch nicht anwandte – wie wertvoll kann dieses Wissen sein?

Der Mensch gilt als komplexes Wesen. Obwohl der Begriff ‚dumm‘ ebenso passend wäre. Schließlich lässt sich das Verhalten unserer Spezies mit einem simplen, aber einprägsamen Bildnis beschreiben: Der Mensch sägt an dem Stuhl, auf dem er sitzt.

Und das nicht nur an einem Bein, sondern gleich an allen vieren. Voller Leidenschaft, voller Inbrunst, samt Lächeln auf den Lippen.

Wir verschwenden unsere Lebenszeit, verkürzen sie sogar regelmäßig. Nur, um später von geliebten Menschen vermisst zu werden. Wir verschmutzen unseren Planeten, misshandeln ihn gar konsequent. Nur, um das eigene „Lebensglück“, den eigenen Komfort, ja: die eigene Bequemlichkeit auf die Spitze zu treiben. Wir sind so diplomatisch verkorkst, um über alles reden, nicht aber handeln zu können.

Ich glaube, inzwischen liegt es an der jüngeren Generation, Lösungen zu finden. Neue Wege zu gehen. Zu beweisen, dass lösungsorientierter Umweltschutz kein Trend ist. Dass ‚beyond‘ mit ‚jenseits von‚ übersetzt wird und für mehr als ein Umdenken steht. Dass Zeit gelebt werden kann, ohne sie zeitgleich zu beschneiden. Dass Toleranz nicht mehr nur das bloße Dulden meint, sondern das Einbinden und Anpassen. Dass Kultur nicht an Ländergrenzen endet, sondern uns alle meint.

Und dass Imagine nicht nur eine friedvolle Utopie innewohnt, sondern eine Aufforderung zu Handeln.

Bevor es zu spät ist. Denn Zeit ist ein knappes Gut.

Der beliebteste Kalenderspruch weltweit

„Lass dir Zeit“, „Nimm dir einen Moment“, „Genieße den Augenblick“: In nahezu jeder Buchhandlung weltweit durfte ich nun diese Sprüche in jeglichen Landessprachen und Abwandlungen auf sämtlichen Taschenkalendern lesen. „Lebe langsam“ – das Motto scheint allgegenwärtig. Und doch leben wir in einem Zeitalter, in dem sich trotz lauter Innovationen zur vermeintlichen Zeitersparnis alles darum zu drehen scheint, mehr Dinge in derselben Zeit bewältigen zu können als zuvor.

„Lass dir Zeit“, „Nimm dir einen Moment“, „Genieße den Augenblick“: In nahezu jeder Buchhandlung weltweit durfte ich nun diese Sprüche in jeglichen Landessprachen und Abwandlungen auf sämtlichen Taschenkalendern lesen. „Lebe langsam“ – das Motto scheint allgegenwärtig. Und doch leben wir in einem Zeitalter, in dem sich trotz lauter Innovationen zur vermeintlichen Zeitersparnis alles darum zu drehen scheint, mehr Dinge in derselben Zeit bewältigen zu können als zuvor.

Ist dieser ganze „Lebe langsam“-Kram deshalb Quatsch und bloß Augenwischerei?

Zumindest ist er in erster Linie beruhigend für unser Gewissen, so viel steht schon einmal fest. Immerhin startet es sich mit einem ausgeschmückten Kalenderspruch in 20x20cm-Format wesentlich besser in den Tag als ohne. Auch wenn wir beim Lesen unseres Spruchs des Tages die Tasse Tee in unvergleichlich schnellen Zügen herunterstürzen und in der linken Hand schon unseren Autoschlüssel bereithalten. Langsam leben… Das wäre mal was!

Und es ist auch gut zu wissen, dass langsam offensichtlich gesund ist. Oder vielleicht sogar im Trend. Immerhin gibt es in sämtlichen Großstädten an nahezu jeder Ecke ein Slow-Food-Restaurant, das diese These auch noch stützt. Und natürlich: Dort gehen wir oft essen! Zumindest am Freitag. Wenn die Hektik der Woche vorbei ist. Wenn die To-Do-Liste vielleicht nicht kürzer aber anders geworden ist und die Arbeit sich dennoch stapelt, wenn auch mit anderen Inhalten. Dann ist erst einmal Wochenende. Zeit für Slow-Food – oder für sonst etwas, was uns herunterbringt. Immerhin ist Freitag. Jetzt ist Zeit.

Doch leider – so schön dieser Trend auch sein mag – ist er nur Mittel zum Zweck. Denn futtern wir Slow-Food, tun wir dies nicht bloß, um nächste Woche noch schneller zu sein? Um einmal herunter zu kommen – und nächste Woche noch mehr Power zu haben? Wir essen „Slow-Food“ nicht, um zu genießen. Wir wissen überhaupt kaum noch, was wahrer Genuss überhaupt heißt.

Wahrer Genuss hat rein gar nichts mit Hektik oder Beschäftigt-sein zu tun. Nicht im Geringsten.

Wahrer Genuss ist, wenn ich morgens aufstehe und mich auf die Terrasse stelle, um die klare Morgenluft zu schnuppern, die noch nicht von den Autos verpestet wurde. Wahrer Genuss ist, sich in Raum und Zeit zu verlieren und die kleinen Dinge der Welt wahrzunehmen. Wahrer Genuss ist, wenn ich mich in mir selbst verlieren kann und die To-Do-List links liegen lasse. Weil ich weiß, dass ich niemals schnell genug sein werde und dass immer wieder etwas Neues auf mich zukommt, wenn ich haste.

Langsam leben – dieser plakative Ausdruck – heißt nichts anderes als Momente genießen. Sich nicht treiben lassen, nicht in Extreme verfallen. Sondern zu schätzen wissen.
Das eigene Leben und die eigene Zeit, die ich bereits verleben durfte, sowie die, die mir noch bleibt.

Und genau deshalb schaffen es nur noch die Dinge auf meine To-Do-Liste, die ich selbst dann tun würde, wenn ich innerhalb der nächsten zwei Stunden sterben würde.

Ich lebe langsam. Oder versuche es. So gut es geht.


Willst du mehr?

Dann trage hier deine Mailadresse ein und ich schicke dir mein kostenloses Buch per Mail zu!
Über 50 Seiten voller Inspirationen, Geschichten und Erfahrungen aus aller Welt. Reisefieber garantiert! Worauf wartest du?
[yikes-mailchimp form=“1″]