Die Wespe und die Scheibe

Das Fenster steht offen. Sperrangelweit. Die saftig grüne Wiese spiegelt sich in der klargewischten Doppelverglasung. Etwas verzogen, leicht schräg und ein wenig anders. Als hätte man den erleichternden Eindruck einer natürlichen Aussicht in einen Farbfilter getunkt und herzlos darin ertränkt. Als wäre die Wiese saftiger und seine Blüten vollkommener. Perfekter als normal. Außergewöhnlich.

Eine Wespe surrt hinein. Schwebt in der verdickten Luft des Raumes umher, ganz wirr,  und zieht seine Kreise. Nur eine Weile, bis sie sich in in der Scheinwelt niederlässt. Als würde es ihr dort besser gefallen. Ihr Sichtfeld schöner sein. Das Krabbeln und Erkunden genussvoller. Eine Flucht aus dem Hier hinein in die perfektere Parallele. Die nach kurzer Zeit fad schmeckt, ein Ausweg aber nicht in Sicht ist.

Denn der aufmerksame Beobachter weiß: Das Abheben fällt nicht leicht. Zu verlockend wirkt der Gedanke, die Parallele könne existieren. Sie könne eine Lücke bieten, um darin zu verschwinden. Und so sucht die Wespe. Den lieben langen Tag.

Vergeudet ihre Zeit, vergisst die wahrhaftigen Blüten, vermisst den klaren Duft der weiten Felder. Und wünscht sich, niemals hier hineingeraten zu sein.

Panisch flattert sie umher. Ihre Flügel rotieren. Könnte sie schwitzen, würde sie’s tun. Mit ihrem hängenden Hintern. Ihr Stachel ganz schwach. So sinkt sie nun tiefer. Noch tiefer und tiefer. Bis sie ankommt, am Boden der Dinge. Sich setzt auf das blassgraue Gummi und krabbelt. Und krabbelt und krabbelt. Hinauf und hinab auf des Fensters Umrahmung.

Bis er dann kommt, der mächtige Mensch. Nichtsahnend und dumm. Um die Luke zu schließen, das Rollo zu senken. Die Frische zu wahren, die Hitze zu killen.

Und mit ihr die Wespe, die immer noch suchte

nach Freiheit und Wiesen und auch seinesgleichen.

Nicht wusste wohin und woher sie kam.

Einfach nur wollte, doch nicht wusste was.

Und so endet ihr Leben

direkt unter’m Glas.