„Puh“ ist ein in zahlreichen Lebenslagen verehmbarer menschlicher Laut. Genutzt bei vollkommener Erschöpfung, offensichtlicher Überraschung oder beim Wahrnehmen des Duftes einer frisch gefüllten Babywindel. Womit wir auch schon beim Thema wären. Denn: Wer vom reiselustigen Hippietum plötzlich ins kalte Wasser des Elterndaseins geworfen wird, dürfte mental allzu oft zwischen „Puh, ist das kalt“ und „Puh, ist das erfrischend“ taumeln.
Je nach Tag, je nach Lage.
Wir schwimmen inzwischen sieben Monate lang in diesem kalten Wasser, sind vor klirrender Kälte der Veränderung nicht gleich wieder heraus gehüpft, sondern haben jeden Moment mit einem „Puh, ist das erfrischend“ genossen. Und ich muss sagen, das Wasser wird wärmer. Es wird gewohnter, sich darin zu bewegen. Es wird von Tag zu Tag mehr Planschen und weniger Warmschwimmen.
Und doch gibt es Tage, an denen der Wellengang unerwartet anzieht und uns zwangsläufig tiefer in seinen Bann zieht, als gedacht.
Das Schöne dabei
Doch Eines nach dem Anderen. Das Elterndasein bekommt uns gut. Wir reifen quasi mit unserer Tochter jeden Tag ein Stückchen mehr. Gelegentlich fühlt es sich so an, als würden auch wir nochmal groß werden. Nur ein Level darüber, wenn man so will.
Kombiniert mit unserem Welterkundungsdrang haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche einprägsame Situationen ergeben, die wir in vollen Zügen genießen konnten. Das Verreisen mit einem Baby ist zwar ein vollkommen anderes, als zuvor. Dennoch aber spannend: Bereisten wir anfangs jene Länder, die wir eigentlich schon kannten, sahen wir sie dennoch aus völlig neuem Blickwinkel. So, als wären wir nie dort gewesen.
Wir tauschen Bars am Abend gegen Cafés zu Mittag. Das nächtliche Streichen durch die Gassen bei Mondschein gegen nachmittägliche Spaziergänge im Park oder am Meer. Und morgendliches Ausschlafen gegen frühes Aufstehen und den Städten beim Aufwachen zusehen.
Es ist faszinierend. Es ist faszinierend, wie an sich fremde Menschen durch unsere kleine Reisebegleiterin sofort einen Draht zu uns entwickeln. Sofort ein Gespräch beginnen. Sie ins Herz schließen. Mit ihr auf Englisch, Französisch, Norwegisch oder Dänisch plaudern, ohne dass sie ein Wort davon verstünde – doch aber darauf reagiert.
Es ist faszinierend, wie interessiert sie in die Welt schaut. Andere Menschen und Dinge beobachtet und wahrnimmt. Und uns auf klitzekleine Dinge aufmerksam macht, die wir nicht wahrnehmen würden. Uns zum Lachen bringt und immer wieder aufzeigt, wie verspießt man doch werden kann, wenn man nicht aufpasst.
Das Zermürbende dabei
Doch ist das nur die halbe Wahrheit. Alles Andere wäre gelogen. Denn so schön, aufregend und erfreulich all das für uns und unsere Tochter ist, so sehr sorgt man sich doch als Eltern. Und somit gibt es sie dann doch: Die Momente, in denen man die neue Verantwortung zu schultern versucht – und das Gefühl hat, es gelinge einfach nicht. Die Momente, in denen Sorgen aufkommen, weil man etwa neue Verhaltensweisen am Kinde beobachtet und sich postwendend fragt: „Ist das normal?“
Andere Eltern würden an dieser Stelle womöglich abwinken und sagen, das sei doch üblich. Diese Momente gäbe es quasi täglich. Das würde schon werden.
Und na klar, das sagt sich so leicht. Wenn der eigene Kinderarzt vor der Tür ist, die Verantwortung für Impfung, Nahrung, Lebensstil und Co. auf dem Silbertablett serviert wurde und nicht vom Standard abweicht. Man ist am Ende nicht Schuld, geht etwas schief, sofern man nicht von der Norm abweicht. Dann hätte es jeden treffen können. Immerhin hat man es ja gemacht wie jeder.
Und wir sind ja auch groß geworden! Aus uns ist doch auch etwas geworden, oder etwa nicht? Warum alles anders machen? Das ist doch etwas egoistisch. Wisst ihr etwa alles besser?
Schon wieder?
Zahlen, bitte
Und genau das ist der Preis, wie schon immer in meinem persönlichen Leben, der nun auch auf dieser Ebene fällig würde, entschieden wir uns weiterhin für diese Art des Familienlebens: Immer unterwegs, fernab der Heimat, fleischlos ernährt, Schullaufbahn unklar, und und und.
Geht etwas schief, bleibst nur du. Du hättest es anders machen können. Du hättest hören können, aber du wolltest ja nicht. Und jetzt hast du den Salat. Zufrieden?
Geht hingegen alles gut, zeigt sich das erst spät. Es könnte ja immer noch etwas passieren. Man möge den Tag nicht vor dem Abend loben. Doch wenn dann einmal Abend ist, gibt’s kein Lob. Dann ist ja nochmal alles glatt gelaufen, puh.
Und dann sitzt du da mit deinem Talent: Mitten im Paradies samt glücklicher Familie mit an manchen Tagen überschäumenden Sorgen, die womöglich vollends nichtig sind, die Verantwortung jedoch, die allein auf diesem einen Elternpaar lastet, erdrückend.
Erhältst Anrufe voller positiv gemeintem Neid, dass dein Leben ja wahrhaftig schön sei und mit Bekundungen, dass man sich eigentlich doch genau dasselbe wünsche.
Nur traut sich ja keiner, was dann zu solchen Anrufen führt – und wiederum zu den Das war ja völlig klar-Reaktionen, falls man einen Schritt zurück macht.
Leben und Existieren
Dabei ist doch genau das ein Teil der Definition, die unser Leben ausmacht: Hinfallen und Aufstehen. Fehler machen und daraus lernen. Haltung haben und Meinungen ändern. Dinge erleben.
Und doch lassen wir es so häufig nicht zu. Verurteilen so oft und ohne Räson. Als wüsste man selbst alles und die Anderen nichts. Auf beiden Seiten. Aber, Gott bewahre, da kommt jemand daher und wagt einen Schritt zurück. Da hat man es gewusst, ja, man hatte es gleich gesagt!
Vor sich hin existieren und niemals das Neue erkunden, keinerlei Ansichten auf den Prüfstand stellen und festgefahren durch’s Leben laufen – nein, das wäre nicht das Meine.
Lieber bin ich harscher Verfechter der einen Sache, die ich aufgrund neuer Erkenntnisse schon in wenigen Tagen nicht mehr befürworte. Wende mich den Dingen zu, die mir gutzutun scheinen und lege sie ad acta, sofern mein Herz dabei nicht mehr hüpft.
All das ist Leben für mich. Und meint nicht meine persönlichen Beziehungen. Doch eben jenes Drumherum, das mich ausmacht, uns umgibt und definiert, wer wir künftig sein werden.
Das Ego und Dinge, die man nicht weiß
… überspielt man am besten nicht. Bei der Wahrheit bleiben ist die bessere Wahl. Und wie schwer einem der Satz „Das weiß ich nicht“ fallen kann, spüre ich am eigenen Leibe. Seitdem er Konsequenzen haben kann.
Als geschwätziger Junggeselle und Lebemann lässt sich das Ego leicht pflegen. Vorzugeben, jemand zu sein, der man nicht ist – ach, es ist ein Kinderspiel. Lebt man ja nur für sich selbst. Und dass man nur für eben jenes Selbst verantwortlich ist, bemerkt man ja kaum. Eine Last, die leicht zu tragen ist, veranlasst Einen schon einmal zum Traumtanzen.
Und dann versuche, eine Verantwortung zu übernehmen für jemanden, der auf dich angewiesen ist. In meinem speziellen Falle die eigene Tochter. Dinge, die auffallen:
- Du spekulierst nicht mehr auf etwas, du willst es wissen.
- Du verneinst den Konjunktiv bei Antworten auf wichtige Fragen.
- Entscheidungen auf „gut Glück“ triffst du nicht mehr.
- Und am allerwichtigsten: Du beginnst, dich selbst zu hinterfragen. Tag für Tag. Stunde für Stunde.
Das eigene Ego scheint zurückzuweichen für etwas Wichtigeres, etwas Größeres. Vermeintlich relevante Dinge, vielleicht sogar „Inseln“ im eigenen Leben verlieren plötzlich ihre Relevanz im Augenschein des Wohlbefindens deines eigen Fleisch und Blut.
Und so wird auch der moralische Kompass, zuvor mit starrer Nadel und klar die Richtung weisend, vernachlässigt, weil die Moral an sich nicht mehr das höchste Gut, nach dem es sich zu streben lohnt, ist.
Wichtig bleibt am Ende, was für sie gut ist. Was wir weitergeben. Dass wir sie in ein Leben entlassen, das frei, selbstbestimmt und von bester Gesundheit geprägt ist.
Alles Andere wird plötzlich zweitrangig.