Meteor

Meteor. So heißt mein Bier. Und Rathaus ist mein Blick.

Zumindest Einer. Einer von vielen. Die Seine wäre da noch zu nennen. Den Tour Saint Jacques nicht zu vergessen. Die kleine Ecke der Isle de la Cite, die sich ins Bild schiebt. Die Straßenmusiker, der Kellner, die Zigaretten.

All das ist Paris. Das ist mein Blick.

Und quer über die Straße wartet jene Einrichtung, die Paris nicht länger temporär sein ließe, sondern zur finalen Heimat machte. Eine Wohnung am Odéon anböte. An jenem Theater Europas, das seinen Namen wirklich verdient.

Ein Apartement, die samt Blick auf den Eiffelturm das Glück perfekt machte.

Bis dahin sind es bloß ein paar Schritte. Ein paar Schlücke. Ein paar Kaugummis. Ein freundliches Lächeln. Ein „Oui, je suis interessé“. Ein Schlüsselumdrehen. Und ein „‚C’est ça!“.

In ein neues Abenteuer. So spontan wie gewohnt. So neu wie noch nie.

Das wäre doch was.

Texas und Rückkehr

In Gedanken sitze ich oft auf einem anderen Kontinent. An einer Theke, vor der einige Meter vom Barstuhl entfernt ein stämmiger Mann auf seiner Gitarre spielt. Eine raue Stimme ins Mikrofon singt, während ein struppiger Bart am Mikrofon reibt und raschelt.

Texas wäre ein wunderbarer Traum. Fernab der Geschehnisse, die langsam verblassen und doch so lang nachwirken. Ein neues Kapitel, das das Maximum an Überwindung kosten und uns endlich wieder an unsere Grenzen bringen würde. Sodass keine Zeit wäre, über irgendetwas nachzudenken. Etwas zu zerdenken.

Wie gern würde ich einfach wieder hineingeworfen werden in ein neues Leben. Das Nötigste dabei und voller Durst und Sorge zugleich, auf und vor dem, was kommt.

Das letzte Jahr hat mich gelehrt, nichts als gottgegeben hinzunehmen. Die Selbstverständlichkeiten aus dem Wortschatz zu streichen. Und die Selbstverantwortung noch größer zu schreiben.

Seit 2021 war dieses vergangene Schlüsseljahr nicht mehr oder minder als eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die sich irgendwann bewahrheiten musste.

Es hätte nicht so physisch schmerzhaft enden müssen. Doch es musste enden. Sonst stünde niemand von uns nun da, wo er steht.

Und für meinen speziellen Fall, bin ich sehr zufrieden. Was war, ist noch manchmal schmerzhaft. Auf so vielen Ebenen. Doch es verwächst sich schneller als gedacht. Auf recht unerwartete Weise kehrt mein Urvertrauen zurück. Das „Es wird schon werden“, das mich schon 2016 fortgeführt und geleitet hat.

Das mich ruhiger schlafen und tiefer atmen lässt. Das die schönen Momente ehrlich und tief sein lässt. Nicht „befreit von“, sondern einfach frei.

Ich bin vielem entwachsen. Und wollte es nicht wahrhaben. Habe es ignoriert. Den Status Quo bewahren wollen.

Obwohl jede Faser in mir spürte, dass es dazu längst zu spät war. Ich weiß nicht genau, wer oder was sich einschaltete. Ob es göttliche Fügung war, Schicksal oder mein Schutzengel mich einfach in die richtige Richtung schubsen musste.

Was es auch war: Es war ein Schubser ins Entscheidungen treffen. Ins Mutigsein. Ins Geradeausgehen.

Oder kurz: Ein Schubser zurück ins Leben.

Wieder da

Ich habe ein Jahr Pause gemacht. Vom Schreiben. Vom Denken. Dem Denken über alles. Und über das, was nicht dazuzählt. Vom Berichten über das, was mich umtreibt und wo ich mich rumtreibe.

Es war eine Zwangspause, zugegeben. Die pure Unruhe, wenn ich ehrlich bin. Ein Chaos sonder gleichen. Das gesamte Jahr 2023. Und ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll, zu erzählen.

Doch ich fange an. Ich weiß nicht womit oder wann. Aber ich spüre, dass ich wieder bereit dazu bin. Dinge in die Hand zu nehmen und die neu gewonnene Freiheit zu nutzen. Für mich, für uns. Für das, was wir wirklich wollen.

Mir ist auch aufgefallen, dass ich das Wörtchen ‚müssen‘ weniger nutze. In jeglicher Deklination. Es kommt einfach seltener vor. Und das ist gut. Es fühlt sich gut an. Einfach ohne jeden Druck zu arbeiten, zu leben und zu lachen. Nichts und niemandem gerecht werden zu müssen und ohne jede Abhängigkeit dem eigenen Gusto nach genießen zu können.

Auf dem Weg dorthin habe ich zahlreiche Menschen hinter mir gelassen. Das war nicht immer einfach. Aber immer richtig.

Und letzten Endes befreiend. More to come.

Guten Rutsch.

Erdung

Das ist neu. Leichter, ehrlicher und beruhigender als bislang. Ein lang verloren geglaubtes, doch nicht vermisstes, wenngleich benötigtes Gefühl.

Ich könnte es nicht präzise genug in Worte fassen, beschreiben oder benennen. Und dennoch ist es da. Es ist einfach vorhanden. „Es überkommt mich“, wäre zu hart formuliert. Beschleichen. Das wäre das richtige Wort.

Am ehesten würde ich es als Erdung bezeichnen. Als gewisse Form der Verwandtschaft von Urvertrauen und innerer Ruhe. Dinge, von denen ich früher viel las, die ich teils verstand, teils lebte, spürte – und dann zeitweise doch ad acta legte, wenn auch unbewusst. Vielleicht, weil sich mein Fokus änderte. Ich mich in den letzten Jahren zu stark in Kämpfen, Auseinandersetzungen und Vergleichen verlor.

Und nun, wo dieses wunderbare Gefühl auf wahrhaft verschlungenen Wegen zu mir zurückfindet, spüre ich erst die Leere, die dort eine Zeit lang Einzug erhielt. Ich war, und bin noch, wie ein Kompass ohne Nadel. Doch endlich so ehrlich, dies zu formulieren. Und endlich einmal so sehr zur Ruhe gekommen, um dies zu bemerken.

Dieser Tag heute führte mich zurück in eine neue Richtung. Was widersprüchlich klingt, zugegeben. Doch irgendwie ist es auch wahr. Manchmal lernt man scheinbar nur durch Rückbesinnung, was für die Gegenwart und Zukunft fehlt.

Die Geschichte geht wie folgt.

Ich besuchte einen alten Freund aus Kindheitstagen. Wir hatten uns ewig nicht mehr gesehen. Anlass dazu gab uns seine frische Vaterschaft – und damit eine neue, parallel verlaufende Gemeinsamkeit. Meine Mutter bat mich, sie zu begleiten, um ihm samt seiner Eltern, die früher für mich fast schon so etwas wie Zieheltern waren, einen kurzen Besuch abzustatten. Was gibt es schließlich Schöneres als eine Gratulation zur Geburt eines Kindes?

Ich freute mich auf das Wiedersehen. Mit ihm. Seinen Eltern. Jener Umgebung, die von unzählbaren Stunden gemeinsamer Kindheit berichtet. Und, so Gott will, auch mit seiner Frau. Seiner neu geborenen Tochter. Und überhaupt allem, was auf mich zukam.

Doch war ich zeitweise ein wenig nervös. Ich kann bis jetzt gar nicht so genau definieren, warum überhaupt. Wir hatten uns zehn Jahre lang nicht gesehen. Hier und da vielleicht mal digital gestreift. Instagram macht’s möglich. Aber mehr auch nicht.

Wer weiß schon, was aus einer Freundschaft wird, wenn sie zehn Jahre lang im Regal steht und nicht hervorgeholt wird? Störfeuer, Dorftratsch und Frauengeschichten dazwischen kommen.

Ich war unsicher. Wollte nichts überstürzen, nichts übertreiben. Tauschte das T-Shirt gegen Pullover und fuhr los.

Bis jetzt bin ich mir nicht vollends sicher, wie ich unser Wiedersehen aus seiner Perspektive bewerten kann. Ich persönlich habe mich sehr gefreut, war es doch ein wenig wie früher.

Was mich jedoch bis in diesen Moment, und hoffentlich die nächsten Tage und Wochen ebenso, begleitet, ist die Atmosphäre des Zusammentreffens. Momente der Harmonie. Lockere Gespräche. Zwangloser Austausch. Problemlosigkeit. Zumindest für einen Moment des Wiedersehens.

Und bei all dem, was man Tag für Tag so erlebt, herausschreit, diskutiert und kritisiert, beeindruckte mich die Herzlichkeit seiner Familie mir wie meiner Mutter gegenüber am meisten.

Aus wenig viel machen – meine Oma ist Meisterin darin. Doch ich erinnere mich nicht, wann ein Stückchen Kuchen, eine Tasse Tee und ein lockeres Gespräch mit lang nicht gesehenen und doch eng Vertrauten so gut getan hat.

Am Ende kann ich nur erahnen, wie mein Kindheitsfreund das Treffen wahrnahm. Ich hoffe, ähnlich positiv und erfreut darüber, wie ich. Manchmal sorge ich mich darum, zu uninteressiert herüberzukommen, wenngleich das tatsächlich nicht zutrifft.

Doch bis jetzt einmal bin ich einfach nur froh, in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, nach langen Jahren endlich mal wieder so etwas wie kindliche Heimat und Ehrlichkeit gespürt zu haben. Und sei es nur aus alter Verbundenheit und Erinnerung. Ohne Gegenleistungen oder Verhandlungen. Ohne Kalkulation oder Berechnung.

Einach nur ehrliche, erfrischende Menschen, die mir, die uns eine schöne Zeit bereitet haben.

Und dank derer ich wieder feststellen durfte, wie gut eine menschliche Erdung tut. Eine Verbindung zueinander zu haben.

Und vielleicht war es genau dieses kurze Durchatmen in diesen Zeiten, das mir letztlich guttat. Ich musste nichts wissen, nichts können und nichts tun. Ich durfte einfach nur da sein. Dabei sein. Zuhören, erzählen und Kuchen essen.

Mann, sowas brauch‘ ich häufiger.

Das wäre doch was

Ich könnte noch das Manchester City-Spiel einschalten. Sie führen mit drei Toren zu null auf Leipziger Seite. Klare Führung. Und, sind wir mal ehrlich, ein deutsches Team ist nicht in der Lage das einzuholen.

Wozu also reinschauen? Es wäre Zeitverschwendung. Und das Ergebnis wird kaum noch eine Wendung nehmen. Höchstens höher ausfallen. Mit neu entfachter United-Leidenschaft muss man das nicht sehen.

Lieber hänge ich am Laptop. In einer ungesunden krummen Rückenhaltung, die mir irgendwann einmal zum Verhängnis wird. Tante Gudrun sagt immer, ich müsse meinen Rücken trainieren. Und Recht hat sie.

Doch weiß sie, wie langweilig Rückenübungen sind? Herrje, welch Qual! Für Fitness-Faule für mich, denen es lediglich wichtig ist, wie sichtbar die Bauch- und Brustmuskulatur letzten Endes ist.

Und ja, auch dabei spielt de Rücken eine Rolle. Ich weiß, ich weiß.

So, wie am Ende dann doch alles mit allem zusammenhängt. Vorsicht, philosophisch und platt im Übergang!

Die Vorstellung eines trainierten Körpers ist das Eine. Die Praxis das Andere. Letztere sind sich andeutende Hüftpolster inklusive leichter Rückenschmerzen vom krummen Anheben des eigenen Nachwuchses, das an Gewicht nicht abnimmt. Eine Massage wäre spitzenmäßig.

Und so begleitet mich auch auf körperlicher Ebene das Gefühl einer auseinander driftenden Wirklichkeit. Jene, die in meinem Kopf existiert. Und jene, die mich täglich umgibt und meine vom Bildschirm getrockneten Augen morgens aus dem Schlaf zerrt.

Theoretisch bin ich täglich irgendwo. Ausgewandert nach Zypern, auf Roadtrip in den USA, am Strand in Thailand bei Ram, unserem Lieblingshost. Die Dächer überblickend in Paris. Pasta essend in den Gassen Roms oder einfach brutzelnd am Strand Jasmins Wahl.

Es ist mir fast schon egal, wo oder wie. Mein Favorit ist mal Zypern, mal eine Ranch in den USA. Mal das Digitale Nomadentum ohne Besitz. Und nicht allzu selten eine Heimat in Paris. In meiner Lieblingsgasse, nicht weit vom Platz mit dem schönsten Querschnittblick durch und über die Stadt.

Und dann touchieren meine Zehen den faserigen Bettvorleger, der viel zu lang nicht gesaugt wurde und der sich meines Interesses sowieso entzieht. Genau wie die gesamte Einrichtung unserer Wohnung und Letztere als Gesamtes ohnehin.

Wir leben im Übergang und fliehen vor dem Untergang. Mental. Und oftmals physisch. Erschweren uns das Leben maßgeblich mit oftmals unpraktischen wie unnötigen hohen Ansprüchen an Kleinigkeiten. Für uns und unsere Tochter. Während sich Letztere eigentlich um Nichts sorgt. Außer der Erkundung von neuen Dingen, Menschen und Worten. Die nichts braucht außer uns. Während wir eigentlich nichts brauchen, als sie und uns. Eigentlich.

Davon sind wir etwas weggekommen. Dinge nehmen so viel Platz ein. In meinem Kopf, unserem Leben und in jener Wohnung, die den Übergang symbolisiert, wie nichts sonst. Designerpullover oder einfach das x-te „praktische Ding“, das uns „garantiert so vieles leichter machen wird“. Der Fitnessspiegel, vor dem wir endlich Sport treiben würden. Die Hanteln mit variablen Scheiben, von denen ich ohnehin nur drei anheben kann. Was sich in absehbarer Zukunft auch nicht unbedingt ändern dürfte.

Dinge, die kein Mensch benötigt. In einer Wohnung, die kein Mensch möchte. An einem Ort, der die Vergangenheit symbolisiert, wie kein Zweiter.

Die Welt besteht aus mehr als Luxushotels, Instagram, Autos, Mode, Amazon-Bestellungen und Geld verdienen.

Ich muss mich manchmal daran erinnern.

Und wenn ich mir nicht auf die Sprünge helfe, sind es dann doch liebe Menschen, die mich auf die Schulter tippen, um mich etwas, wenn auch unbewusst, aus meinem Habitus zu befreien. Meine Gedanken auf neue Pfade lenken und mich innerlich erfrischen.

Don’t get me wrong: Mein Leben ist so, wie es ist, großartig. Und doch ist es momentan, wie zwei Kapitel aus demselben Buch parallel zu lesen. Das Eine zum dritten Mal. Vorwärts, rückwärts, seitwärts. Und das Andere mit zu wenig Aufmerksamkeit. Und mit zu wenig Mut, ihm eine Chance zu geben. Auf der Hälfte stoppend.

Dabei läge die Entscheidung bei mir, bei uns. Was bleibt, ist die Frage:

Wohin und wie?

Mental, physisch und beruflich. Alle Möglichkeiten stehen offen. Wir müssen bloß zugreifen, ein bisschen Urvertrauen verspüren und uns trauen. Uns trauen, einen Schritt ins Unbekannte zu wagen und aus den hiesigen Denkmustern erneut auszubrechen.

Denn diese wuchern unbemerkt. Um das eigene Gedankengut herum, bis sie es vollends erstickt haben und fortan selbst das eigene Sein bestimmen. Und Tag für Tag wird es schwerer, aus diesem Gestrüpp wieder herauszukommen.

Ich spüre in den letzten Tagen wie Wochen, dass sich Dinge verändern. Essentielle Dinge. Unumstößlich geglaubte Institutionen, wenn man so will. Spüre erstmals so richtig intensiv und unverkennbar, dass ich, allein ich, für mich und nun für eine ganze Familie verantwortlich bin. Und zeitgleich ge- und erwachsen genug bin, um diese Verantwortung zu schultern. Ganz ehrlich? Wäre ich vor gar nicht allzu langer Zeit nicht gewesen.

Ich spüre, wie mein Urvertrauen langsam den Weg zurück in mein Leben findet und die ängstlichen Phasen überwindet. Die letzte Konsequenz mag noch ausstehen. Aber auch sie wird schon noch Einzug erhalten, da bin ich sicher.

Es mangelt aktuell ein wenig an Selbstdisziplin. In Sachen Ernährung, Fitness, Selbstorganisation. Aber hey, Eines nach dem Andern.

Es fehlt dazu möglicherweise das vollkommen beantwortete „Wozu eigentlich?“. Ein neues Etappenziel. Eine klare Lebensvision für die nächsten Jahre. Und damit verbundene Notwendigkeiten, die anzustreben sind.

Nichts, das unbedingt sein muss, weil man es nun mal so macht. Sondern weil ich bemerke, dass ich so etwas brauche. Als Ansporn, als Fixstern. Für den „Endlich“-Moment am Ende, der mich dann entspannen lässt.

Und der mir mit Sicherheit vermittelt: Das alte Kapitel musst du nicht nochmal lesen, Alex. Wir genießen erstmal das Neue. Und das Nächste schreiben wir selbst. Unabhängig von allem Anderen.

Das wäre doch was.

Reisen mit Baby. Puh.

„Puh“ ist ein in zahlreichen Lebenslagen verehmbarer menschlicher Laut. Genutzt bei vollkommener Erschöpfung, offensichtlicher Überraschung oder beim Wahrnehmen des Duftes einer frisch gefüllten Babywindel. Womit wir auch schon beim Thema wären. Denn: Wer vom reiselustigen Hippietum plötzlich ins kalte Wasser des Elterndaseins geworfen wird, dürfte mental allzu oft zwischen „Puh, ist das kalt“ und „Puh, ist das erfrischend“ taumeln.

Je nach Tag, je nach Lage.

Wir schwimmen inzwischen sieben Monate lang in diesem kalten Wasser, sind vor klirrender Kälte der Veränderung nicht gleich wieder heraus gehüpft, sondern haben jeden Moment mit einem „Puh, ist das erfrischend“ genossen. Und ich muss sagen, das Wasser wird wärmer. Es wird gewohnter, sich darin zu bewegen. Es wird von Tag zu Tag mehr Planschen und weniger Warmschwimmen.

Und doch gibt es Tage, an denen der Wellengang unerwartet anzieht und uns zwangsläufig tiefer in seinen Bann zieht, als gedacht.

Das Schöne dabei

Doch Eines nach dem Anderen. Das Elterndasein bekommt uns gut. Wir reifen quasi mit unserer Tochter jeden Tag ein Stückchen mehr. Gelegentlich fühlt es sich so an, als würden auch wir nochmal groß werden. Nur ein Level darüber, wenn man so will.

Kombiniert mit unserem Welterkundungsdrang haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche einprägsame Situationen ergeben, die wir in vollen Zügen genießen konnten. Das Verreisen mit einem Baby ist zwar ein vollkommen anderes, als zuvor. Dennoch aber spannend: Bereisten wir anfangs jene Länder, die wir eigentlich schon kannten, sahen wir sie dennoch aus völlig neuem Blickwinkel. So, als wären wir nie dort gewesen.

Wir tauschen Bars am Abend gegen Cafés zu Mittag. Das nächtliche Streichen durch die Gassen bei Mondschein gegen nachmittägliche Spaziergänge im Park oder am Meer. Und morgendliches Ausschlafen gegen frühes Aufstehen und den Städten beim Aufwachen zusehen.

Es ist faszinierend. Es ist faszinierend, wie an sich fremde Menschen durch unsere kleine Reisebegleiterin sofort einen Draht zu uns entwickeln. Sofort ein Gespräch beginnen. Sie ins Herz schließen. Mit ihr auf Englisch, Französisch, Norwegisch oder Dänisch plaudern, ohne dass sie ein Wort davon verstünde – doch aber darauf reagiert.

Es ist faszinierend, wie interessiert sie in die Welt schaut. Andere Menschen und Dinge beobachtet und wahrnimmt. Und uns auf klitzekleine Dinge aufmerksam macht, die wir nicht wahrnehmen würden. Uns zum Lachen bringt und immer wieder aufzeigt, wie verspießt man doch werden kann, wenn man nicht aufpasst.

Das Zermürbende dabei

Doch ist das nur die halbe Wahrheit. Alles Andere wäre gelogen. Denn so schön, aufregend und erfreulich all das für uns und unsere Tochter ist, so sehr sorgt man sich doch als Eltern. Und somit gibt es sie dann doch: Die Momente, in denen man die neue Verantwortung zu schultern versucht – und das Gefühl hat, es gelinge einfach nicht. Die Momente, in denen Sorgen aufkommen, weil man etwa neue Verhaltensweisen am Kinde beobachtet und sich postwendend fragt: „Ist das normal?“

Andere Eltern würden an dieser Stelle womöglich abwinken und sagen, das sei doch üblich. Diese Momente gäbe es quasi täglich. Das würde schon werden.

Und na klar, das sagt sich so leicht. Wenn der eigene Kinderarzt vor der Tür ist, die Verantwortung für Impfung, Nahrung, Lebensstil und Co. auf dem Silbertablett serviert wurde und nicht vom Standard abweicht. Man ist am Ende nicht Schuld, geht etwas schief, sofern man nicht von der Norm abweicht. Dann hätte es jeden treffen können. Immerhin hat man es ja gemacht wie jeder.

Und wir sind ja auch groß geworden! Aus uns ist doch auch etwas geworden, oder etwa nicht? Warum alles anders machen? Das ist doch etwas egoistisch. Wisst ihr etwa alles besser?

Schon wieder?

Zahlen, bitte

Und genau das ist der Preis, wie schon immer in meinem persönlichen Leben, der nun auch auf dieser Ebene fällig würde, entschieden wir uns weiterhin für diese Art des Familienlebens: Immer unterwegs, fernab der Heimat, fleischlos ernährt, Schullaufbahn unklar, und und und.

Geht etwas schief, bleibst nur du. Du hättest es anders machen können. Du hättest hören können, aber du wolltest ja nicht. Und jetzt hast du den Salat. Zufrieden?

Geht hingegen alles gut, zeigt sich das erst spät. Es könnte ja immer noch etwas passieren. Man möge den Tag nicht vor dem Abend loben. Doch wenn dann einmal Abend ist, gibt’s kein Lob. Dann ist ja nochmal alles glatt gelaufen, puh.

Und dann sitzt du da mit deinem Talent: Mitten im Paradies samt glücklicher Familie mit an manchen Tagen überschäumenden Sorgen, die womöglich vollends nichtig sind, die Verantwortung jedoch, die allein auf diesem einen Elternpaar lastet, erdrückend.

Erhältst Anrufe voller positiv gemeintem Neid, dass dein Leben ja wahrhaftig schön sei und mit Bekundungen, dass man sich eigentlich doch genau dasselbe wünsche.

Nur traut sich ja keiner, was dann zu solchen Anrufen führt – und wiederum zu den Das war ja völlig klar-Reaktionen, falls man einen Schritt zurück macht.

Leben und Existieren

Dabei ist doch genau das ein Teil der Definition, die unser Leben ausmacht: Hinfallen und Aufstehen. Fehler machen und daraus lernen. Haltung haben und Meinungen ändern. Dinge erleben.

Und doch lassen wir es so häufig nicht zu. Verurteilen so oft und ohne Räson. Als wüsste man selbst alles und die Anderen nichts. Auf beiden Seiten. Aber, Gott bewahre, da kommt jemand daher und wagt einen Schritt zurück. Da hat man es gewusst, ja, man hatte es gleich gesagt!

Vor sich hin existieren und niemals das Neue erkunden, keinerlei Ansichten auf den Prüfstand stellen und festgefahren durch’s Leben laufen – nein, das wäre nicht das Meine.

Lieber bin ich harscher Verfechter der einen Sache, die ich aufgrund neuer Erkenntnisse schon in wenigen Tagen nicht mehr befürworte. Wende mich den Dingen zu, die mir gutzutun scheinen und lege sie ad acta, sofern mein Herz dabei nicht mehr hüpft.

All das ist Leben für mich. Und meint nicht meine persönlichen Beziehungen. Doch eben jenes Drumherum, das mich ausmacht, uns umgibt und definiert, wer wir künftig sein werden.

Das Ego und Dinge, die man nicht weiß

… überspielt man am besten nicht. Bei der Wahrheit bleiben ist die bessere Wahl. Und wie schwer einem der Satz „Das weiß ich nicht“ fallen kann, spüre ich am eigenen Leibe. Seitdem er Konsequenzen haben kann.

Als geschwätziger Junggeselle und Lebemann lässt sich das Ego leicht pflegen. Vorzugeben, jemand zu sein, der man nicht ist – ach, es ist ein Kinderspiel. Lebt man ja nur für sich selbst. Und dass man nur für eben jenes Selbst verantwortlich ist, bemerkt man ja kaum. Eine Last, die leicht zu tragen ist, veranlasst Einen schon einmal zum Traumtanzen.

Und dann versuche, eine Verantwortung zu übernehmen für jemanden, der auf dich angewiesen ist. In meinem speziellen Falle die eigene Tochter. Dinge, die auffallen:

  • Du spekulierst nicht mehr auf etwas, du willst es wissen.
  • Du verneinst den Konjunktiv bei Antworten auf wichtige Fragen.
  • Entscheidungen auf „gut Glück“ triffst du nicht mehr.
  • Und am allerwichtigsten: Du beginnst, dich selbst zu hinterfragen. Tag für Tag. Stunde für Stunde.

Das eigene Ego scheint zurückzuweichen für etwas Wichtigeres, etwas Größeres. Vermeintlich relevante Dinge, vielleicht sogar „Inseln“ im eigenen Leben verlieren plötzlich ihre Relevanz im Augenschein des Wohlbefindens deines eigen Fleisch und Blut.

Und so wird auch der moralische Kompass, zuvor mit starrer Nadel und klar die Richtung weisend, vernachlässigt, weil die Moral an sich nicht mehr das höchste Gut, nach dem es sich zu streben lohnt, ist.

Wichtig bleibt am Ende, was für sie gut ist. Was wir weitergeben. Dass wir sie in ein Leben entlassen, das frei, selbstbestimmt und von bester Gesundheit geprägt ist.

Alles Andere wird plötzlich zweitrangig.

Gott sei Dank, habe ich geweint.

Es gibt Momente in meinem Leben, die ich als wegweisend beschreiben würde. Einen dieser Momente möchte ich in diesem Text verarbeiten. Nicht nur handwerklich, im Sinne von einer herkömmlichen Verarbeitung inhaltlicher Bausteine. Sondern auch seelisch. Im Sinne von der eigenen Auseinandersetzung mit Situationen und Geschehnissen.

Jene Situation, jener Moment spielte sich vor rund einem Monat in Münsteraner Factory Hotel ab. In einer Zeit, in der ich mich selbst keineswegs wohl fühlte. Nicht ansatzweise. Und die ich mit keiner Silbe als wegweisend empfunden hätte, hätte es keine klare Aussprache gegeben. Mit einer Aussprache meine ich nicht jene zwischen zwei Menschen. Sondern eben jene, die lediglich dem Sender selbst gutzutun scheint, was sich im Nachhinein oftmals bewahrheitet. So zumindest bei mir.

Ich brütete innerlich über einem Problem. Über einem Problem mit dem Menschen, der ich zu sein schien, sein sollte oder war und zum Großteil auch noch bin.

Wer sich heutzutage jemandem vorstellt, einen anderen Menschen neu kennenlernt oder einfachen Smalltalk im Zuge eines spontanen Wiedersehens betreibt, schwenkt oftmals schon im zweiten Anlauf hin zur Frage nach dem Was. „Und, was machst du so?“

Eine wahrheitsgemäße Antwort könnte lauten, dass man sich schließlich gerade unterhalte, heute seine Kinder vom Spielen abholen würde, abends grillte oder den nächsten Urlaub vorbereite. Die Antwort spiegelt jedoch, so fiel und fällt mir zunehmend auf, nicht die tatsächliche aktuelle Tätigkeit im umfassenden Leben mit all seinen Teilbereiche wider, sondern das eigene Selbstverständnis, anhaftend am eigenen Beruf, und die damit einhergehende Identifikation.

Gleich nach der Antwort „Alles gut“, die im Regelfall auf die in den seltensten Fällen von ernsthaftem Interesse hinterlegte Frage „Na, wie geht’s dir so?“ folgt, ist jene Frage nach der vermeintlichen Selbstidentifikation, die stets auf das berufliche Treiben einer Person hinaus möchte, mein persönlicher Graus.

Was, wenn ich mich mit meinem Beruf gar nicht mehr assoziierte? Nicht wenige Menschen würden vermutlich dennoch in der immer selben Form darauf antworten. Der Beruf ist fix. Einmal drin, nie mehr raus. Egal, wie viele Jahre.

Mir persönlich wurde das zu eng – mir fehlte und fehlt zum Teil noch immer die Luft zum Atmen. Vielleicht bin ich langfristig auch einfach nicht für herkömmliche Dienstleistungen gemacht, wenn auch auf selbstständiger Basis. Vielleicht liegt es auch anders Szene, in der ich mich bewege.

Oder vielleicht wird mir bei längerem Verweilen an einem Ort ohne Ausweg bewusst, dass meine bisherige Tätigkeit vielleicht spaßig war. Aber diese Freude, dieser Spaß lediglich aus der Tatsache resultierte, dass mein „Beruf“ nur Mittel zum Zweck, in diesem Fall: Finanzspritze für unsere Reisen und einen gewissen Lebensstil, war.

Was also, wenn Letzteres wegfiele? Was, wenn es keine Karotte mehr gäbe, der ich hinterherliefe – und das Erreichen dieser mit minimalem Aufwand und größtmöglichen Erfolgen auch noch immer wieder gelang?

Ich habe gelernt – oder besser: mir ist aufgefallen – dass viele Menschen in meinem persönlichen wie beruflichen Umfeld diese Art zu leben beneiden. Man könnte meinen, es gäbe für mich gar keinen Grund, um mich ernsthaft über etwas zu beklagen. Es geht mir und uns doch gut! „Läuft“, würde man sagen.

Und das tut es auch. Auf dem Papier, auf dem Konto, unterwegs. Aber wehe dem, einer dieser Faktoren verflüchtigt sich, insbesondere das Umhertingeln und Reisen. Das hat Auswirkungen. Wie ich spürte.

Und so saß ich also im Factory Hotel. Nur mit Boxershorts bekleidet auf der Bettkante und dachte vor mich hin. Was los war, war mir schon längst klar. Dass mein Beruf im Online Marketing mich langsam anzuekeln schien, war ein großes Problem. Dass ich auf irgendeine unliebsame und krude Weise viel zu übervorsichtig geworden war, ebenso. Dass ich unterdessen keinen Fuß mehr vor die Tür, im übertragenen Sinn: ins Ausland, mehr setzte, kam hinzu. Und all das türmt sich lediglich auf den Mist der letzten anderthalb Jahre, der in anderen privaten Kreisen umhergereicht wird. In meinem Kopf lebten seit anderthalb Jahren dieselben Gedanken. Und mit jedem Tag wurden sie zunehmend gefüttert.

Es gab keine anderen Inputs. Unser Aufenthalt in Paris schien mir wie ein anderes Leben und doch wie gestern. Wie in Gottes Namen kamen wir auf die Idee, dass unsere Rückkehr in unsere vermeintliche geographische Heimat eine gute Idee war? Auch das war ein Punkt.

Ich dachte nichts Gutes über mich. Obwohl es mir offiziell, weltlicher oder materieller, eben so gut ging wie noch nie. Ich bin so unabhängig wie noch nie. Die Zahlen stimmen. Meine Kunden waren und sind zufrieden. Ein wenig in Deutschland umherreisen ist auch drin. Wo also drückt der Schuh?

Schwer zu beantworten, diese Frage. Und umso besser deshalb, wenn man in dieser Situation eine vertraute Person an seiner Seite weiß, der man getrost einmal die Schulter vollschnoddern und -weinen kann. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle, Jasmin!

Manchmal geht es eben nicht anders. Und es sollte auch nicht anders gehen. Es muss manchmal einfach raus. Und was man so lang mit sich herumschleppt, braucht dann halt seine Zeit.

Und dann habe ich ihr alles erzählt. Was mich an meinem Beruf stört, was ich viel lieber täte, worin ich aufginge, was ich dachte über mich, die Welt, meine Familie, meine Kunden, meine Projekte. Und was sich ändern müsse, damit sich in mir etwas ändert.

Und dann haben wir eine Lösung entwickelt. Nicht bewusst, nicht nach Schema X oder so. Wir haben einfach geredet. In ihrer unnachahmlichen, oft kurz angebundenen und direkten Art, brachte Jasmin es aber glücklicherweise ziemlich schnell auf den Punkt: „Mach eine Killer-Liste“. Vier Worte, so einfach.

Dinge, die noch abgeschlossen werden mussten. Dinge, ohne die ich dieses Kapitel, das nun ohne Zweifel beendet werden musste, nicht beenden konnte. Dinge, die ich nicht mehr tun wollte, und durch die ich dennoch einmal durch musste.

Und Dinge, die nun Vergangenheit sind. Dank deren Bewältigung ich mich nun auf die Zukunft konzentrieren kann. Auf jene Themen und Projekte, die neuen Schwung in mein Leben und mein Gehirn bringen. Auf Bücher, die ich schon ewig lesen wollte, wozu ich aber nie kam. Und auf Menschen, mit denen ich mehr Zeit verbringen möchte.

Denn auch das ist etwas, das ich in diesem noch jungen Jahr lernen durfte. Auch Menschen können mal der richtige und mal der falsche Draht sein. Ein Draht, der, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, immer heiß läuft. Bei den „falschen“ Menschen aber in eine nicht allzu wünschenswerte Richtung, sodass er einfach mal abkühlen sollte.

Womöglich sind diese Dinge nicht immer leicht: Aus dem fahrenden Zug der beruflichen Tätigkeit springen, Drähte zu kappen, die früher oder später dafür sorgen, dass man sich selbst in ihnen verwickelt. Oder Lebensideen völlig neu skizzieren, obwohl die letzten Details der Vorgänger gerade erst finalisiert und festgezurrt wurden.

Doch mir hat’s gut getan – wenngleich heute so ein Tag ist, an dem ich am liebsten nichts tun würde. Zumindest nicht hier, in Attendorn.

In Paris wüsste ich, was ich täte. Und anderswo auf der Welt wüsste ich sicher, etwas Neues zu entdecken.

Bloß hier scheint mein Kapitel abgeschlossen und schon dreimal verfilmt. Ich denke, ich bin hier fertig. Und die Planung für den nächsten Schritt, was soll ich sagen, ist bereits in vollem Gange.

Laptopscheibenmonotonie

[verfasst am 13.08.20]

Und heut sitz‘ ich drin. Das Blatt sich gewendet. Null Spontanität, mehr Kummer, gar Sorgen. Beruflicherseits; privat gar nicht mal. Doch so sollt‘ es nie sein – und doch ist’s geworden.

Heut sitz‘ ich drin. Blick‘ gegen die Scheibe. Dahinter nicht viel, Prozessor und Lichter – kein Fenster, kein Treiben. Wie konnt‘ das passieren, es war doch mal anders.

Als Arbeit nicht Sinn, sondern Werkzeug nur war. Werkzeug für’s Leben, das man sich so wünscht. Das zeitlang ich lebte – und heute ablegte.

Wie’s dazu kam, ist schwer zu erklären. Ich würd‘ was erzählen, von Sinn und Projekten. Doch sind wir ganz ehrlich, und das geht mal nicht ständig, dann würden wir feststell’n: Es ist bloß Gerede.

Gerede für’s Geld durch „coole Projekte“. Durch Innovation, nicht für den Lohn. Und Spaß macht es auch, durchaus hin und wieder.

Doch ist’s kein Vergleich, zum Schreiben und Leben. Ich droh‘ festzuwachsen, am Bildschirm daheim. Noch eh ich’s bemerke, wird’s riesig und groß.

So, dass „zurück“ kaum noch ein Weg führt. Weil’s mir und uns allen zu mächtig und groß wird. Dann stecken wir drin, alle Mann mit im Boot.

Und wie find ich dann, ’nen Weg aus der Not?

Vor etwa zwei Jahren, schrieb ich schonmal. Von Leben und Wurzeln, die ich nicht würd‘ schlagen.

Und doch ist’s passiert, ich weiß nicht warum.

Doch eins, das bleibt klar: Ich kehre noch um.

Ich finde den Weg, zurück zu dem Leichten. Dem Spiel und der Freude – quasi zum Alten. Zu dem, was mal war, was wir uns erfüllten.

Bevor wir uns bunden, an Sachen und Dinge. An Orte und Taten. An Jobs und an Pflichten.

Lang dauert’s nicht mehr, da bin ich sicher. Komm’n wir wieder raus, auf eigene Faust.

Drum werd‘ ich’s planen, wie’s läuft und wie’s geht. Denn klar ist mir heute:

Es ist nie zu spät.

Nordkap

[verfasst am 22.06.21]

Ich säße gern am Fjord. Baumelte Beine über Klippen. Tränke Bier aus Dosen. Und lauschte den Vögeln beim Kreischen.

Ich säße gern auf dem Wasser. Mittdendrauf. Ungestört. In einem Boot aus Holz und genoss die Ruhe. Blickte gen Himmel und zählte Sonnenstrahlen. Atmete Tannennadeln und fühlte nichts als Frieden.

Ich säße gern am Wasserfall. Streckte die Beine über die Felsen. Fühlte prasselnde Wassertropfen auf der Haut. Spürte die Sonne auf der Haut und den Wind in den Haaren. Sähe nichts als Unendlichkeit und Unendlichkeit.

Wenigstens sähe ich gern aus dem Fenster. Lächelnden Blickes und der Gewissheit inne, sich all dem hingeben zu können. Mit nur einem Schritt vor die Haustür und einer Dose Bier im Gepäck, die mich durch die helle Nacht begleitet.

Was würde ich dafür geben. Ach, was würde ich dafür geben.

Verlieren

[verfasst am 22.06.21]

Irgendwann glaubte ich, erwachsen werden zu müssen. Und erst kürzlich stand ich an Australiens Klippen, auf dem Burj Khalifa und mitten im Grand Canyon Nationalpark. Vor wenigen Sekunden lief ich durch die Schluchten Islands. Erlebte die Nordlichter dieser Welt. Und schipperte einsam auf Finnlands Seen.

Und irgendwann glaubte ich, erwachsen werden zu müssen. Wurde sesshaft, traf Entscheidungen. Schaltete das Herz aus und überforderte den Kopf.

Irgendwann habe ich mich selbst verloren. Und das, obwohl ich mich gerade erst fand. In schmutzigen Duschen mit Spinnen an den Wänden. In schäbigen Flughafenhotels, die völlig ausreichten. In strömendem Regen mitten in Metropolen. Und ohne ausreichend Nahrung direkt im Nirvana.

Ich denke gern zurück an die vergangenen Jahre. Als ich noch frei, die Welt noch offen und die Zukunft Kilometer entfernt war. Als ich nichts verstand von Zahlen, Berechnungen und Pflichten. Und die einzig sinnvollen Ratschläge dem Daodejing entsprangen.

Als Liegestühle vor Campingbussen besser waren als jede Strandliege. Als ich Grashalme stundenlang zählen konnte. Als Meditieren keiner Rechtfertigung bedurfte. Und als Geld nebensächlich und uninteressant war.

Und voller Hoffnung blicke ich voraus. Hoffe auf Zeiten, in denen sich Wogen glätten, Nebelwolken legen und Menschen vereinen, statt spalten. In denen mich Mutter Natur packt und nicht mehr loslässt.

Zeiten, in denen meine Sehnsucht nach Freiheit, Freiraum und Frischluft keine Sehnsucht, sondern Realität ist.