Ist der Mensch ein Stück Natur?

„Der Mensch gehört ebenso zur Natur, wie die Tiere und alles Leben auf der Welt.“ Schöne Worte, die ich vor einigen Wochen las. Wo genau das war, weiß ich nicht mehr. Doch sie regten an. Zum Nachdenken. Und zum Tiefergehen.

Theoretisch klingt’s logisch, geradezu verständlich: Der Mensch entwickelte sich im Laufe der Jahre zu dem, was er heute ist. Und dachte man nicht genauer darüber nach, könnte es gar in Fleisch und Blut übergehen: Der Mensch, und damit alles, was er tut, denkt, entwickelt und zerstört, passiert auf natürliche Weise. Er ist geradezu natürlich.

Dennoch bin ich überzeugt, dass es einen Gegenpol zur Natur geben muss. Etwas, das die Kehrseite der Medaille darstellt, wenn man so will. So wie es zu heiß ein kalt gibt, zu oben ein unten – so muss es einen passenden Gegensatz zur Natur oder dem Natürlichen geben. Oder etwa nicht?

Doch würde sich dieser auf natürliche Weise entwickeln, wenn man den Menschen außen vor ließe? Würde ein anders geartetes Lebewesen jenes Gegenstück zu „Mutter Natur“ produzieren oder gäbe es, ohne menschliches Zutun, keines, sodass lediglich eine allgegenwärtige natürliche Form existierte?

Spontan darüber nachgedacht, würde ich behaupten: Mit Ausnahme des Menschen ist bis heute nichts Kontraproduktives für jene Natur entstanden, die sie ohne Zutun des Menschen wäre.

Doch nun sind wir nun einmal da – und benötigen in unserer heutigen Welt all das, was nicht herkömmlich, nicht gottgegeben ist, um zu leben. Ja, inzwischen sogar, um zu überleben.

Dennoch, so vermute ich, hätte vieles dessen, was wir als künstlich und unnatürlich ins Leben riefen, nicht sein müssen. Im Umkehrschluss hätten wir uns natürliche Lebensformen noch erhalten und eine gesündere Umwelt erschaffen können.

Doch wir entschieden uns dagegen – und zwar nicht bloß Einzelne, sondern alle Mann. Wir produzieren jährlich neue Smartphone-Generationen, die abgesehen von ihrem minimal veränderten Gehäuse nichts weiter können, als ihr Vorgänger. Ebendies Vorgehen wählen wir bei der Produktion von Automobilen, Haushaltsgeräten, verschiedenster Elektronik und bei überhaupt allen Konsumgütern jeder Art.

Und, obwohl wir sie nicht benötigten, füllen wir damit Wunschzettel, Einkaufskörbe und unsere heimlichsten Träume, um ein wenig mehr Freude zu empfinden, die spätestens nach drei Jahren, tendenziell früher, schwindet, da das Gerät, passend zur Neueinführung des Nachfolgemodells, zufälligerweise den Geist aufgibt.

Wir entwenden somit Ressourcen unseres Heimatplaneten für dumb shit, wie man im Englischen frotzeln würde. Unwiederbringliche Ressourcen für Dinge, die nach drei Jahren nur mit größtem Aufwand entsorgt werden können.

Das ist nicht natürlich. Das ist das absolute Gegenteil.

Beispiele dieser Art gibt es genügend. Wir plündern quasi das Schiff, das uns über’s Wasser trägt, und werfen unsere Beute über Bord. Wir legen ein Feuer in den Keller unseres Hauses und bauen anschließend einfach Stockwerk um Stockwerk, um den Flammen zu entkommen – statt das Feuer selbst zu löschen. Wir denken ganz offenbar nicht nach.

Oder: Wir denken nach, doch der Schmerz, zurückzurudern, uns unsere Fehler einzugestehen und tiefgreifende Veränderungen zu bewirken säße zu tief.

Die größte Ironie liegt jedoch in unserem Selbstbild, das sich mit nichts, aber auch mit gar nichts dessen deckt, was wir als unser Werk ansehen dürfen: Wir definieren uns über unsere Intelligenz. Darüber, dass wir nicht tierischen Trieben und Instinkten nachgeben müssen – sondern vermeintlich rational denken und handeln können. Nicht zuletzt deshalb sehen wir uns auch, wie gewohnt, über den Tieren. Und über der Natur ohnehin.

Wenn man sich unser Handeln allerdings so ansieht, könnte man meinen, es sei weniger unser Hirn, sondern mehr das Glück, zufällig über einen opponierbaren Daumen zu verfügen, der unser aktuelles Handeln ermöglicht.

Denn jegliche Sinne scheinen wir verloren zu haben. Sinne, die uns einst das Überleben in dieser Welt ermöglichten. Wir haben sie heute jedoch schlicht verrotten lassen – und uns im Gegenzug eine Welt gebastelt, die uns zwar zu Füßen liegt, aber in dieser Haltung nur verkümmern kann.

Nehmen wir uns wieder das Beispiel des Schiffes zur Hand, wird außerdem klar: Wir sitzen nicht allein als „Gattung Mensch“ darauf. Allerlei andere Lebewesen, die wir als niederträchtig ansehen, sitzen zu unserer Linken und Rechten.

Versenken wir unser Schiff, versenken wir sie gleich mit. Glücklicherweise töten wir sie zuvor aber ohnehin schon ganz freiwillig, sodass die wenigsten den letztlichen Untergang ihrer Natur und Gattung miterleben würden.

Wir dagegen erleben das volle Programm: Die Vernichtung der Natur, das Ableben unserer menschlichen Gattung und die Zerstörung der uns ursprünglich so wohlgesinnten Flora und Fauna.

Verdient, würde ich sagen. Und unabdingbar, sofern wir nicht langsam – oder doch besser schnell – lernen, umzudenken und das Ruder herumreißen.

Denn so, wie wir uns zur Zeit verhalten, entfremden wir uns mehr und mehr von dem, was wir als Natur bezeichnen, wahrnehmen und bewundern. Wir mutieren zum klaren Gegenspieler genau jenes Planeten, der uns so offensichtlich seit Jahrtausenden ein Zuhause bietet.

Aber vielleicht, und das wäre die einzige akzeptable Erklärung, sind wir auch einfach nur heilungslos schizophren.

Dann könnten wir wenigstens nichts dafür.